Im Reich der Sinne

Das Weingut Torre a Cona in der Toskana ist weit mehr als einfach nur ein Weingut. Vielmehr ist es Gesamtkunstwerk, ein Dorado für all jene, die ein paar Tage abtauchen und eintauchen wollen in eine Welt des Genusses, die wahrhaft alle Sinne betört. 

„Ancora un po‘ di vino, signora?“ Der Kellner hat die Haare zu einem Dutt gezwirbelt und lächelt mich an. Er hält eine Flasche strohfarbenen Vermentino in der Hand, produziert aus den Trauben des Weinguts Torre a Cona, auf dem ich mich für ein langes, ruhiges, genussvolles Wochenende einquartiert habe. Es ist früher Nachmittag, die Sonne wärmt gerade genug, um an den Tischen im Hof zu sitzen. Hinter mir steht eine Reihe knospender  Hortensien, vor mir eine Portion Pasta mit Muscheln und Kichererbsen, ein paar Meter weiter ein Tisch, an dem Englisch gesprochen wird. Und ja, natürlich möchte ich noch ein Glas!

Freunde hatten mir von dem Weingut in der Toskana erzählt. Sie kennen es seit Jahren, buchen eine der Gästewohnungen, die in den dazu gehörenden Bauernhäusern eingerichtet wurden, und bleiben ein paar Wochen. Immer wieder höre ich mir ihre begeisterten Berichte an: Die Landschaft, die Leute, die Küche, der Wein … „Weißt du“, erzählten sie nach ihrer jüngsten Reise, „neuerdings kann man auch in der Villa wohnen. Wie im Hotel. Die Zimmer sollen fantastisch sein.“.

Zur Orientierung: Das Weingut Torre a Cona befindet sich im Süden von Florenz, keine halbe Stunde vom Stadtzentrum entfernt. Zur Anlage gehören rund 200 Hektar Weinberge, Olivenhaine und perfekt gepflegte Gärten, besagte Bauernhäuser sowie diese prachtvolle Villa aus dem 18. Jahrhundert, in der seit dem vergangenen Sommer zahlende Gäste wohnen dürfen. Inhaber und Gastgeber sind die Grafen Rossi di Montelera, genauer gesagt Conte Niccolò und seine Frau Mariangela – ein sympathisches, unkompliziertes und ausgesprochen attraktives Paar.

Ich hatte mir das Anwesen vorab online angeschaut und wusste daher, dass es sich um kein klassisches, romantisch- rustikales Landgut handelt. Doch kein Bildschirm der Welt kann die Großartigkeit des hellen Sandstein-Palasts vermitteln, der nach einer Kurve völlig überraschend zwischen schlanken Zypressen und ausladenden Schirmkiefern auf einem Hügel thront. Der mächtige Turm in der Mitte des Gebäudes erinnert an das Schloss, das im Mittelalter an dieser Stelle stand und den größenwahnsinnigen Fantasien eines wohlhabenden Florentiners weichen musste, der hier das Gegenstück zum Florentiner Palazzo Pitti bauen wollte.

Im hauseigenen Archiv, das im rußgeschwärzten Gewölbe der früheren Schlossschmiede untergebracht ist, sind unter anderem die alten Baupläne zu sehen. Sie zeigen ein weitaus größeres Anwesen mit einem zusätzlichen Flügel und einer Pagode im Park – das Protz-Projekt wurde aber auf halbem Weg aufgegeben, weil dem Bauherrn das Geld ausging.

Was für ein Glück, denke ich, die Anlage ist schon so groß genug. Dass die langen Gänge und hohen Räume nicht kalt und ungemütlich wirken, ist der Einrichtung zu verdanken: An den Wänden hängen antike orientalische Stoffe, gerahmt und hinter Glas, zwischen halb blinden Spiegeln und hübsch gruppierten Vintage-Drucken mit Mode-, Vögel- oder Blumen-Motiven. Mächtige Holztruhen stehen neben bequemen samtbezogenen Sofas und luftigen Rattansesseln auf dunkelroten Böden aus handgefertigten toskanischen Terracotta-Fliesen. Das Licht der modernen wolkenförmigen Kunstharz-Wandlampen ist warm und weich.

Wenn ich in meinem Zimmer die Nachttischlampen anschalte, leuchten golddurchwirkte Lampenschirme aus indischen Saristoffen auf, die auf bunte, aus alten Apotheken stammende Keramikbehälter montiert wurden. Das Kopfteil meines wunderbar breiten, weiß bezogenen Betts besteht aus einem opulent geschnitzten, goldlackierten Holzrahmen und purpurfarbenem Velours, von der großen freistehenden Badewanne in der veritablen „salle de bains“ sind die Weingärten und Olivenbäume des Landguts zu sehen. Brauche ich einen Fernseher? Ganz sicher nicht! Es gibt auch keinen. Dafür gibt es ein einwandfrei funktionierendes Wi-Fi, das auf dem Land und hinter dicken Mauern den schwachen Netzempfang ersetzt.

Die 20 neuen Gästezimmer sind schön, sehr schön sogar, aber nicht so professionell und perfekt gestaltet, wie wenn ein routinierter Interiordesigner die Sache in die Hand genommen hätte. Ich fühle mich eher wie bei Freunden, die ihr Heim mit viel Geld und gutem Geschmack möbliert haben – ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, ob die Farben, die Formen und die so unbekümmerte wie stilsichere Mischung aus alt und neu den derzeitigen Wohntrends entspricht.

„Das ist das Werk meiner Mutter“, erklärt Graf Niccolò, „sie hat sich gut ein Jahr lang mit der Einrichtung beschäftigt, ihre Freude an antiken, oftmals neu interpretierten Dingen ist offensichtlich. Vieles von dem, was Sie hier sehen, sind Fundstücke von Flohmärkten, anderes stammt aus Familienbesitz oder wurde nach ihren Entwürfen angefertigt.“ Er hat sich zum Espresso zu mir gesetzt und sofort die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. „Sind Sie der Besitzer?“, fragt der Gast vom Nebentisch, ein aus Kolumbien stammender New Yorker. „Si“, antwortet Niccolò, der lang genug in den USA gelebt hat, um sich an die direkte Art deren Bewohner zu gewöhnen, „mein Großvater hat das Weingut 1935 gekauft.“ Der Amerikaner ist begeistert: „Amazing! Sie dürfen hier leben und sehen dabei auch noch verdammt gut aus.“ Das stimmt! Niccolò Rossi di Montelera ist groß, blond und blauäugig – dem klassischen Südländer-Klischee entspricht er jedenfalls nicht. Tatsächlich sind die Rossi di Montelera aus dem Piemont, die Familie besaß das Wein- und Spirituosenunternehmen Martini & Rossi, das vor allem für seinen Wermut bekannt ist und 1993 für 1,4 Milliarden US-Dollar an Bacardi verkauft wurde.

Was sie heute in der Toskana produziert, dürfte besser sein: Chianti, Merlot, Colorino oder den Dessertwein Vin Santo, die in großen Tonneau-Fässern im uralten Weinkeller reifen. Wer möchte, kann ein Wine Tasting buchen und sich im zur Enoteca umfunktionierten Kornspeicher unter kundiger Anleitung durchkosten. Nachdem die Rossi di Montelera die alten Weinreben durch neue ersetzt haben, wurden aus den einfachen Landweinen, die man  früher hier produzierte, elegante Chianti Riservas, die inzwischen auch ein paar Preise gewonnen haben. Dank der leicht erhöhten und dadurch kühleren Lage der Reben  schmecken sie frisch und sauber – perfekt zum Essen und leicht genug für ein zweites, drittes und viertes Glas. Kaufen kann man die Weine auch: den Einsteiger-Chianti für 10,50 Euro, den Chianti Riserva für 25 Euro.

Ich beschließe einen Erkundungsspaziergang, der schnell in eine Wanderung ausartet. Ein Trampelweg führt vom Weinkeller zur stillgelegten Getreidemühle. Das davor angelegte Wassersammelbecken wurde in ein schönes Schwimmbad umfunktioniert und begeistert ob  der unverstellten Aussicht in die Weinberge. Im Sommer stehen dort Sonnenliegen bereit, eine Bar mit Getränken und ein paar Snacks soll bald dazukommen. Von hier aus kann man weiter durch die endlosen Reihen der Weinreben schlendern oder in den oberhalb der Villa gelegenen Park mit den gigantischen Steineichen und melancholischen, halb verfallenen Rokoko-Statuen. Es ist unglaublich still und friedlich, zu hören sind nur die verschiedenen  Vögel oder ein Knacken im Geäst, wenn ein Reh zwischen den Bäumen umherspringt. Der Park grenzt an einen naturbelassenen Wald, der ebenfalls zu Torre a Cona gehört. Später werden mir Gäste erzählen, dass sie dort erfolgreich auf Trüffel-Suche waren. Zwar wachsen in diesem Teil der Toskana keine edlen weißen, doch der schwarze Scorzone schmeckt auch und kann fast rund ums Jahr gesammelt werden.

Gelegentlich finden ein paar Exemplare ihren Weg in die Küche der Osteria Torre a Cona und somit ins Reich von Maria Probst. Die auf einem Bauernhof am Chiemsee aufgewachsene Bayerin ist die Küchenchefin des Weinguts – und schon sie allein ist die Reise wert. Sie lebt seit fast 20 Jahren in Italien, ist mit einem waschechten Toskaner verheiratet und kochte bis vor rund zwei Jahren in einem renommierten Restaurant außerhalb von Florenz, das der Familie ihres Mannes gehört. Das Paar wollte sich jedoch verändern: „Unser Wunsch war es, gescheit zu kochen, aber ohne Sterne-Druck“, erklärt sie. Der Conte sah das ähnlich: „Wir sind hier auf dem Land, führen ein Familienunternehmen. Ich möchte, dass man gut isst, toskanisch isst, entspannt isst. Auf eine Service-Brigade kann ich verzichten.“

Immerhin stehen Riedel-Gläser auf den weiß gedeckten Tischen, die Teller kommen aus der historischen Florentiner Porzellan-Manufaktur Ginori 1735. Als Vorspeise schickt Maria einen „crostino toscano“ – eine Hühnerleber- Kapern-Vin-Santo-Creme, die normalerweise auf Weißbrot gegessen wird, hier aber mit hausgemachten Linsen-Reis-Cracker und eingelegten roten Zwiebeln serviert wird. Danach gibt es gegrillte Sardellen mit Wurst, „acciughe grigliate con salsiccia“. Klingt komisch? Schmeckt köstlich! Die Fischlein – nicht irgendwelche, sondern die eines ganz bestimmten Lieferanten aus Livorno – werden mit Scheiben einer frischen, weichen, nur leicht gewürzten Wurst aus toskanischem Schweinefleisch belegt und auf den Grill gelegt. „Dieses Gericht muss auf der Karte bleiben, sonst murren unsere Stammgäste“, sagt Maria. Denn in der Osteria essen nicht nur Urlauber, sondern auch Florentiner sowie alle jene, die Marias Kochkünste von ihrer vorherigen Wirkungsstätte kennen. Allerdings hat sie nicht ein einziges ihrer früheren Erfolgsgerichte mitgenommen, sie wollte einen klaren Schnitt. „Was wir kochen, ist maßgeschneidert für genau hier.“

Das ist es wohl, was Torre a Cona auszeichnet: Alles passt auf wundersame Weise zusammen, die Landschaft, die Leute, die Küche, der Wein. Zu Hause werde ich versuchen, sie zu beschreiben – die stille Schönheit, die unaufgeregte Heiterkeit, die selbstverständliche Harmonie, das unprätentiöse, aber kultivierte Leben. Einfach alles, was diesen Ort prägt und die Besucher entspannt und glücklich macht.

Torre a Cona 

Via Torre a Cona 49 

50067 Rignano sull’Arno 

Tel. +39 055 6990 00 

DZ ab 141 Euro 

www.torreacona.com 

Text: Patricia Engelhorn 

Fotos: Andrea Feichter