Rebenschätze an Sehnsuchtsorten

Liebe Leserin, lieber Leser,

die im ersten Gault&Millau-Magazin auf der Rhein-Insel Mariannenaue begonnene Serie „Inselweine“ wird in den beiden nächsten Ausgaben ihre Fortsetzung finden.

Inseln sind Sehnsuchtsorte und Sinnbild für Urlaubs-Feeling. Insbesondere mit dem aktuellen Blick auf die Wetterkarte und auf die sinkenden Inzidenzwerte lässt die Vorfreude auf unbeschwerte Genussmomente die Herzen höherschlagen. In diesem Zusammenhang sind unsere nächsten Ausflüge echte Entdeckungsreisen zu Schatzinseln, die ganz besondere Pretiosen bergen, wie sie das Festland kaum mehr zu bieten hat.

Die erste Reise führt uns auf die 732 Quadratkilometer große Vulkaninsel Madeira. Knapp 1000 Kilometer südwestlich von Lissabon, in etwa auf der Höhe von Casablanca mitten im Atlantik liegend, birgt sie enorm faszinierende Weine, die auf wundersame Weise reife Süße und feine Salzigkeit vereinen.  Der Weinanbau ist auf Madeira bereits seit dem Jahr 1450 dokumentiert, als der Venezianer Alvise da Mosto die Malvasia-Reben aus Kreta auf Geheiß des portugiesischen Infante Dom Henrique de Avis, genannt Heinrich der Seefahrer, anpflanzen ließ.

Schon nach kurzer Zeit erblühte der Handel mit dem Wein von Madeira, welcher im 18. Jahrhundert, begünstigt durch den Methuen-Vertrag (ein Handelsabkommen zwischen England und Portugal im Umfeld des spanischen Erbfolgekrieges), enormen Schub bekam. Über die englischen Handelswege fanden die Weine auch nach Indien und Nordamerika. Einen Höhepunkt dieser glanzvollen Ära markiert sicherlich der 4. Juli 1776: der erste amerikanische Präsident, George Washington, stieß mit einem Glas Madeira auf die Unabhängigkeitserklärung an. Auch von Thomas Jefferson und anderen Gründervätern ist eine besondere Vorliebe für Madeira überliefert, sicherlich ein Grund dafür, dass der Inselwein in den Vereinigten Staaten noch heute eine hohe Beliebtheit genießt.

Der zweite Ausflug ist Ponza gewidmet, dem kleinen Kreidefelsen-Eiland im Tyrrhenischen Meer, 21 Seemeilen südlich von San Felice Circeo und auf halber Strecke zwischen Rom und Neapel gelegen. Hier gedeiht die hellhäutige, fast weißliche Biancolella-Rebe. Ursprünglich aus Kampanien stammend, ist sie im 17. Jahrhundert unter den Bourbonen zur Zeit des Königreichs Neapel von Ischia aus auf der Insel Ponza eingeführt worden. In ganz Latium ist der Anbau dieser Rebsorte nur auf Ponza genehmigt. Hier wird sie heute auf einem Plateau angebaut, auf dem sich der Leuchtturm „Faro della Guardia“ befindet. Dieser Leuchtturm wurde im Jahr 1886 auf einem überhängenden Felsen erbaut, sein Licht ist über 20 Seemeilen in Richtung Süden sichtbar.

So reifen vor meinem geistigen Auge nicht nur Insel-Urlaubsträume, sondern auch ganz reale, ausdruckstarke Reben mit denkbar größter Bodenhaftung, die von der Meeresbrise umspielt in einzigartige, hochemotionale Weine münden.

Genussreiche Urlaubstage und auf ein baldiges Wiedersehen in der zweiten Ausgabe des Gault&Millau-Magazins,

Ihr

Otto Geisel
Leiter des Gault&Millau Expertenrats

Foto: Insel Madeira/ unsplash

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