Zwei Jahre nach der Flut wollen die Ahr-Winzer nur noch nach vorne schauen

Die Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 veränderte alles in dem Weinanbaugebiet, das als „Tal der roten Trauben“ oder auch als Rotweinparadies bekannt ist. Eine enorme Flut zerstörte binnen weniger Stunden Straßen, Gebäude, Weinkeller, Hotels, die komplette Infrastruktur. 143 Menschen starben durch das Hochwasser, die Schäden an den Häusern, Straßen und Brücken sind immer noch zu sehen und werden auch so schnell nicht behoben sein. Der Weinbau war und ist an der Ahr ein großer wirtschaftlich-kultureller Faktor. Die Winzer – nur fünf Betriebe waren von den Fluten nicht betroffen – bauten ihre Betriebe mit Hilfe vieler Kollegen wieder auf und füllten bald den neuen Jahrgang ab. Von ihren ehemals 560 Hektar sind nach dem Hochwasser noch 530 Hektar geblieben.

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TEXT & FOTOS Anke Kronemeyer

Lukas Sermann, 33 Jahre alt, steht in seiner Kelterhalle in Altenahr. Links an der Seite plätschert die Ahr still und gemächlich vor sich hin. Heute hat man keine Vorstellung mehr davon, was sie vor zwei Jahren angerichtet hat. Da schoss sie mit einer gigantischen Energie durch den Ort, stand mehr als zehn Meter hoch in der erst 2017 gebauten Halle des Familienweinguts Sermann und zerstörte alles. Eine Hallenwand wurde komplett rausgerissen, Fässer trudelten durch den Raum. Zurück blieben haufenweise Schlamm und Dreck. Danach war nichts mehr wie vorher. Lukas Sermann, seit 2019 Chef im 11,5 Hektar großen Weingut mit Restaurant und Außenterrasse, lud schon drei Monate später zu einem kleinen Fest ein. „Ich kann doch nicht nichts machen“, meint er heute im Rückblick. Es müsse weiter gehen, er müsse nach vorne schauen. Wenn er jetzt in der Kelterhalle steht und erklärt, wie hoch damals das Wasser kam, hoch zu den Edelstahltanks oben an der Galerie, ist ihm aber trotz aller Zuversicht immer noch mulmig.

Winzer aus anderen Anbaugebieten kamen, um zu helfen

Aber mit seinem Willen, nach vorne zu schauen, ist er nicht allein. Alexander Stodden vom zehn Hektar großen Weingut Stodden in Rech sieht es ähnlich. Auch bei ihm stand das mit Öl verseuchte Wasser in allen Gebäuden, wurden die Fässer durch die Halle geworfen, konnte er nicht mehr erkennen, welcher Wein in welchem Fass war („die Kreideschrift war weg“), musste monatelang geputzt, gewienert, gewischt werden. Mehr als 120 Liter Spülmittel hätten sie nur für die Reinigung der Tanks verbraucht, so Stodden. Beim Bestimmen der Weine („ich hatte nur noch Ölgeruch in der Nase“) holte er sich Hilfe von seinem Freund und Kollegen H.O. Battenfeld-Spanier aus Rheinhessen. Gemeinsam ordneten sie die Stodden-Rotweine wieder zu, bewerteten sie, füllten Cuvees. Vor seiner Haustür ragt die historische Nepomuk-Brücke immer noch halb zerstört in die Landschaft, drum herum liegen immer noch Schuttberge, viele Häuser können nicht mehr renoviert werden, viele wurden vom Hochwasser mitgerissen. „Eine solche Dramatik konnte man sich nicht vorstellen“, so Stodden. „Sie wollen eine Straße vom Dreck sauber machen, aber die Straße ist gar nicht mehr da? Und die Häuser von nebenan auch nicht?“ Dass so eine Naturkatastrophe solche Ausmaße haben könnte, hätte niemand ahnen können, sagt er immer noch ganz erschüttert.

50.000 Besucher kommen pro Jahr in die Winzergenossenschaft Mayschoss-Altenahr, nach eigenen Angaben die älteste WG der Welt. All diese Gruppen mussten lange vertröstet werden, können erst seit Frühjahr dieses Jahres wieder Spät- oder Frühburgunder in dem historischen Keller verkosten. Deckenhoch stand der Schlamm dort drin, nachdem sich das Wasser verzogen hatte. Fast alle Fässer konnten gerettet werden, 20.000 Liter Wein gingen verloren. Und 17 Hektar Weinbergsfläche im Übrigen auch. Zur Winzergenossenschaft gehören 457 Winzer, die gemeinsam 137 Hektar bewirtschaften.

Markus Bertram aus Dernau stand wie ein Großteil seiner Winzerkollegen ebenfalls vor dem Nichts. Die Flut hatte nicht nur das große Restaurant, sondern auch seinen Flaschenkeller getroffen, wenige Tage vorher hatte er den Jahrgang gefüllt. „Das Wasser ging einmal rein und wieder raus.“ Er und seine Familie wussten nicht, wie ihnen geschah – und dann plötzlich ein kleines Solidarität-Wunder: „Innerhalb von acht Wochen waren 70 Prozent unserer Weine verkauft.“

Solidarität hält an

Und genau diese Solidarität trug die Winzer von Anfang an. Die Aktion Flutwein wurde ins Leben gerufen, 180.000 mit Schlamm verschmutzte Flaschen wurden verkauft. Peter Kriechel aus Bad Neuenahr-Ahrweiler sagt: „Diese Aktion und diese Resonanz haben uns Mut und Zuversicht gegeben.“ Nach Schätzungen meinen die Initiatoren, dass vor allem durch soziale Medien die Flutwein-Kampagne 900 Millionen Menschen weltweit erreicht hat. Und hat so eine Medien-Öffentlichkeit erreicht, von der alle an der Ahr noch länger profitieren können.

Und dann muss man natürlich noch die andere große Welle der Hilfsbereitschaft erwähnen: Neben Tausenden von Freiwilligen aus der ganzen Republik waren es bei den Winzern vor allem Kollegen von Nahe, Rheinhessen & Co., die mit Mannschaften und Gerät an die Ahr kamen und halfen. Beim Reinigen, beim Mut machen, bei der Ernte, beim Abfüllen. Nur so konnten alle Ahr-Winzer weiter machen. Nur so konnten sie überleben. Viele Institutionen initiierten Spendenaktionen, unter anderem auch der VDP. Insgesamt kamen so 7,5 Millionen Euro Spenden zusammen, die über einen speziell gegründeten Verein verteilt wurden.

Mehrere Zuschuss-Möglichkeiten

Der Wiederaufbau an der Ahr läuft, wenn auch sehr schleppend. Es gibt Fördertöpfe von Bund und Land sowie die Möglichkeit, Zuschussanträge bei der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB) zu stellen. Und es gibt Versicherungen. Aber nicht alle Winzer hatten eine Elementarversicherung abgeschlossen. Ganz generell ärgern sich viele Betroffene über den Bürokratie-Dschungel, vor allem über das deutsche Spendenrecht, das die Auszahlung von Spenden direkt an die Opfer der Naturkatastrophe vor große Hürden stellt.

Tourismus-Kampagne „We Ahr open“

Jetzt soll erst einmal der Tourismus an der Ahr wieder angekurbelt werden. Die drei großen Hotels sind zwar noch nicht wiedergeöffnet, viele kleinere Hotels und Gasthöfe dagegen schon, so dass Besucher für ihren Aktivurlaub in Dernau, Mayschoß oder Bad Neuenahr-Ahrweiler willkommen sind. „We Ahr open“ heißt darum auch die neue Tourismus-Kampagne. 80 Prozent der Betriebe sind wieder geöffnet und bieten 60 Prozent der alten Bettenkapazität von damals knapp 6000 an. Eine Vergleichszahl aus der Zeit vor Corona und vor Flut: 2019 wurden 1,5 Millionen Übernachtungen an der Ahr gezählt, im ersten Quartal 2023 waren es 150.000. Hochgerechnet kann das bis zum Jahresende zumindest 650.000 ergeben. Die Sommerrodelbahn oder der Waldkletterpark, die Dokumentationsstätte Regierungsbunker, der 35 Kilometer lange Rotweinwanderweg, die Ruine der Burg Are und ganz speziell die Ahr-Landschaft mit ihren Weinbergen an den Steilhängen bieten sich als Freizeitaktivitäten für den Urlauber an. Und natürlich der Besuch in einem der rheinland-pfälzischen Gasthöfe, in dem immer ein Glas Ahr-Wein auf der Karte steht.