Von einer roten Zwiebel, einem Meer
und dem höchsten Wein

Größtes deutsches Binnengewässer, drittgrößter See Europas, 63 Kilometer lang, 395 Meter über dem Meeresspiegel, mit Obersee und Untersee 536 Quadratkilometer groß: Das sind die Eckdaten des Bodensees, den sich politisch Bayern und Baden-Württemberg teilen. Er wird auch das „Schwäbische Meer“ genannt, aber das wiederum hören nicht alle so gerne. Wer am Bodensee lebt, fühlt sich nicht wirklich als Schwabe, sondern eher als – na ja, als ein internationale Bodensee’ler halt. Inmitten einer Vier-Länder-Region: Deutschland, Österreich, Schweiz und Liechtenstein grenzen an den See.

Nichts. Kein Geräusch. Absolute Stille. Der See liegt vor uns, die Pflanzenwelt der Insel Mainau hinter uns. Hier hört man – nichts. Unfassbar. Doch, da. Jetzt brummt es weit aus der Ferne. Aber auch das ganz leise. Ein Zeppelin bewegt sich von Ost nach West, überfliegt den See. Nostalgisches Reisen. Der Zeppelin ist am Bodensee zu Hause – wie so vieles andere. Der rote Apfel, der Nebel über dem See, der Langmut, die Entschleunigung, der blaue Himmel, die weißen Wolken. Klingt irgendwie nach einem Paradies.

Vielleicht ist es das. Auf jeden Fall eine Region, die zu entdecken sich lohnt, die dazu einlädt, auf der Autofähre von Konstanz nach Meersburg in Urlaubsatmosphäre zu kommen, sich die sanft hügelige Landschaft mit Fernblick bis in die Schweiz anzusehen, Stopp in Überlingen oder Hagnau zu machen, hier eine Gasse mit kleinen Geschäften zu entdecken, dort einen Schoppen Weißherbst oder Müller-Thurgau und/oder einfach nur den Ausblick über den See genießen, der in weiter Ferne am Alpenpanorama endet.

Sobald man sich dem See nähert, stellt sich sofort ein mediterranes Lebensgefühl ein. Natürlich vor allem in den wärmeren Monaten, aber auch im Herbst oder im knackig-kalten Winter hat der See seinen Reiz. Im Sommer lockt er zum Sonnenbad, zum Ausflug mit dem Segel- oder Motorboot oder sogar der eigenen Yacht, zum Surfen oder Tauchen. Dann kann es in den Orten, die direkt am Wasser liegen, auch schon mal trubelig werden. In den kalten Monaten freut man sich auf einen Besuch in einer der Thermen, über Bewegung an der frostig-frischen Luft, über das erste leichte Eis auf dem Wasser, das aber nur selten begehbar ist. Unabhängig davon, zu welcher Jahreszeit man seine Freizeit am Bodensee verbringt: Nicht nur das Wasser ist reizvoll, sondern auch der ein oder andere Ausflug etwas weiter ins Land. Konstanz ist mit seiner komplett erhaltenen Altstadt immer einen Besuch wert, mit der Fähre geht es von dort ins idyllische Meersburg, ebenfalls ein hübscher Ort, von dem aus man entspannt nach Überlingen und ins Weinanbaugebiet rund um Hagnau weiterfahren kann. Aber auch die Zeppelinstadt Friedrichshafen oder Radolfzell, bekannt für die Mettnau-Kur, bieten sich an. Wer sich bei seiner Tour sportlich betätigen will: Der Bodensee-Radweg ist stolze 259 Kilometer lang. Zu viel für einen Tag, auch mit dem E-Bike, aber vielleicht Motivation, immer mal wieder in einem der Gasthöfe, Hotels oder Restaurants mit regionaler Speisekarte einzukehren.

Wer auf dem Weg durch die Lande genau hinschaut, findet in der leicht hügeligen Landschaft auch immer wieder Weinberge. Denn der Weinbau spielt eine große Rolle rund um den See. Schon im 12. Jahrhundert, wenige Jahre nach Gründung des Klosters Salem, begannen die Zisterzienser mit dem Weinanbau. Als im 18. Jahrhundert ein Orgelbauer aus Dijon beauftragt wurde, ein solches Instrument in Salem zu bauen, kamen auch die ersten Reben aus dem Burgund nach Salem und legten den Grundstein für einen der besten Spätburgunder aus der Bodenseeregion. Ein kleiner Rekord: Am Südwesthang des Hohentwiel liegen die höchsten Weinberge Deutschlands – auf einer Meereshöhe von gut 560 Metern. Apropos Wein: Im Vineum im früheren Heilig-Geist-Spital in Meersburg kann man einen interaktiven Rundgang durch die Kulturgeschichte des Weins erleben. Mit Verkostung vor Ort übrigens.

Und damit wären wir beim Thema Genuss. Der handelt von einem knallroten Bodensee-Apfel, von ganz besonderen, ebenfalls roten Zwiebeln von der Halbinsel Höri, von Fischen direkt aus dem See oder von gesundem Gemüse von der Insel Reichenau.

So ist der Bodensee seit Jahrzehnten berühmt für seinen Fischbesatz. Der Bodensee-Felchen galt lange als besondere Delikatesse. Aber: Es werden schon seit Jahren weniger Felchen gefangen, weil es immer weniger Nährstoffe im See gibt. Der See wurde über die Jahrzehnte nach und nach sauberer, sodass die Tiere weniger Nahrung finden. Das wirkt sich auf die Fangquote aus. Und es gibt sogar Jahre, in denen so wenige Felchen herausgeholt werden, dass sie – um die Nachfrage vor allem aus den Restaurants zu decken – aus dem Ausland importiert werden müssen.

Berühmt ist aber auch der Bodensee-Apfel, der in diesem sonnigen Voralpenklima beste Bedingungen hat. Er strahlt meist in leuchtendem Rot von den Bäumen und verlockt direkt zum Anbeißen. Wie gut, dass an vielen Straßenecken Kisten mit Apfeltüten stehen, die man ins Auto laden kann. Apfelbäume stehen auf fast 90 Prozent der gesamten Obstanbaufläche nördlich des Sees. Rund 1400 Bauern ernten im Jahr insgesamt mehr als 250.000 Tonnen. Apfelbäume wachsen seit mehr als 1000 Jahren am nördlichen See, zunächst nur einzelne Exemplare vor allem in den Gärten der wohlhabenden Fürsten und Klöster. Ein Apfel galt als Luxus. Erst im 18. Jahrhundert wurden aufgrund eines Dekrets von Friedrich dem II. mehr Äpfel angebaut und damit auch als „Gemeingut“ verzehrt. Denn der Apfel galt als Symbol eines gut regierten Landes.

Beste Bedingungen hat aber auch die Zwiebel, die hier Höri-Bülle heißt und ebenfalls rot ist. Eigentlich stammt sie aus Kalabrien, wurde aber vor mehr als 1200 Jahren auf der Halbinsel Höri angepflanzt und bekam so ihren Namen. „Bülle“ stammt vermutlich vom Wort „zwiebolle“. Weil die Hüri-Bülle so empfindlich ist, wird sie ausschließlich per Hand geerntet. Der Bodensee’ler genießt sie am liebsten roh im Wurstsalat oder zum Felchen, es gibt aber auch Rezepte für Zwiebel-Pizza. Dazu wird dann ein Glas „süeßa Moscht“ getrunken.

Fehlt nur noch das Gemüse, das auf der Insel Reichenau, der größten Bodensee-Insel, wächst. 724 wurde dort ein Benediktiner-Kloster gegründet, 818 erst Wein, später dann Gemüse angepflanzt. Dank des milden Mikroklimas entwickelte sich die Insel zu Deutschlands Gemüse-Insel Nummer eins, auf der nicht nur Tomaten und Paprika, Gurken, Salate oder Brokkoli und Zucchini wachsen. Aber nicht nur deswegen ist sie beliebtes Reiseziel. Auch die romanischen Kirchen des Klosters Reichenau locken die Besucher auf diese wunderbare Halbinsel, die auch UNESCO-Weltkulturerbe ist.

Den Bodensee vorzustellen, ohne den touristischen Hotspot, die Insel Mainau, zu erwähnen? Nicht vorstellbar. Denn diese Insel, 45 Hektar groß, lockt im Jahr nicht nur rund eine Million Gäste an, sondern steht für eine gigantische Vielfalt an Flora und Fauna, die ihresgleichen sucht. 1951 baute Graf Lennart Bernadotte das Areal zu einem wahren Blumenparadies um, das mitsamt dem barocken Schloss aus dem 18. Jahrhundert nach wie vor im Familienbesitz ist und sorgfältig und zugleich visionär von seinen Kindern Bettina und Björn in seinem Sinn weiterentwickelt wird. Je nach Jahreszeit blühen dort Meere von Tulpen, Narzissen, Hyazinthen, Rosen oder Dahlien, laden Schmetterling- und Palmenhaus zu kleinen Touren ein, kann man stundenlang durch die Anlagen spazieren gehen und einfach nur die prachtvolle Natur direkt am Bodensee genießen.

Zur Region rund um den Bodensee gehört übrigens auch Oberschwaben, zu dem wiederum der westliche Zipfel des Allgäus, das Württembergische Allgäu, gerechnet wird. Dort findet man viele Moore als Hinterlassenschaft der Eiszeit, Moorheilbäder laden jedes Jahr viele Kurende ein. In Oberschwaben locken zudem prächtige Sakralbauten auch in vielen kleinen Orten. Eiszeitnatur und Barockkultur treffen hier in einer wunderbaren Kombination aufeinander. Der Bodensee und weite Teile Oberschwabens gehören seit mehr als zehn Jahren zum UNESCO-Welterbe. Grund: der Fund von prähistorischen Pfahlbauten, die an 100 Stellen entdeckt wurden und Zeugnis geben vom Alltag und den Lebensbedingungen der Menschheit vom 5. bis zum 1. Jahrtausend vor Christus. Das größte Pfahlbautenmuseum befindet sich am nördlichen Seeufer, in Unteruhldingen.  

Text: Anke Kronemeyer