Von Almkäse und Oliven

MERAN & VINSCHGAU

Der „Wilde Westen“ Südtirols bietet beinahe alles, was es im restlichen Land auch gibt. Doch dieser Querschnitt wird gerne mit vielen, auf Südtirol bezogenen Superlativen geschmückt. Höchster Berg, kleinste Stadt, bester Skifahrer, bestes Brot, bester Käse, größter Stausee, wundersame Schmiede von Kunst und Kultur, geringste Niederschlagsmenge, größte mittelalterliche Rüstungssammlung etc. Die Liste könnte ewig fortgesetzt werden. Doch im Vordergrund steht einmal mehr ein besonderer Menschenschlag, der Jahrhunderte gegen die Unbill der Zeiten anzukämpfen vermochte. Was entstand, ist eine einzigartige Talschaft mit unzähligen Schätzen, die sich einer gängigen Art des Betrachtens entziehen. Der Vinschgau ist seit jeher Nährboden für kontroverse Diskussionen. Ein Talschaftsbeschluss musste her, um sich auf einen einheitlichen Namen zu einigen: also „der Vinschgau“ und nicht „das Vintschgau“.

Durch die Realteilung gab es eine Zersplitterung vieler Gehöfte. Die damit einhergehende Armut ist im Nachhinein betrachtet ein Glück für die Region. Nirgendwo anders konnten so viele romanische Bauten der Barockisierung standhalten, was vor allem den oberen Vinschgau zu einem archaischen Freilichtmuseum gemacht hat. Der Kornanbau war die wichtigste Wirtschaftssäule. Aus der einstigen Kornkammer Tirols stammt das originale Paarlbrot, besser bekannt als „Vinschgerle“. Seit Jahrhunderten wird dieses Roggenbrot nach alten Rezepturen gebacken. Die Backkunst ist also erhalten geblieben, die Kornfelder nur partiell. Denn eine viel lukrativere Sparte hat im 20. Jahrhundert die Moränenhügel und Auen an der Etsch erobert. Wie ein Drache streckt der Obst- bau seine mitunter giftige Zunge bis nach Mals. Dort wehrt sich eine kleine Aktions- gruppe seit einigen Jahren teilweise erfolgreich gegen den massiven Einsatz von Pestiziden im Obstbau. Dazu sei erwähnt, dass im Vinschgau auch die größte Menge an Bio-Äpfeln südtirolweit produziert wird, womit wir bei einem weiteren Superlativ wären. Die Urtümlichkeit des Vinschgaus ist auch dem relativ späten Einzug des Tourismus zu verdanken. Protzige Bettenburgen finden sich hier erst in Naturns, das von den eingefleischten Vinschgauern ohnehin eher zum Meraner Raum gezählt wird. Doch auch der sanfte Tourismus hat so einiges bewirkt. Immer mehr kleinere Milchbauern lösen sich von den großen Milchhöfen, um eigenständige Produkte zu erzeugen. Edelste Käse entstehen auf urigen Almen. Durch die Synergie mit der Gastronomie hat man die Wertigkeit alter Obstsorten wieder entdeckt. Die Palabirne (Sommerapothekenbirne) war beinahe verschwunden. Jetzt bauen gefinkelte Köche das gesunde Obst in diverse Kreationen ein. So ähnlich verhält es sich mit der Aprikose. Die „Vinschger Marille“ ist – mit Verlaub – eine eigene Sorte, die ihresgleichen weltweit nicht findet. Versuche, Marillen aus Hunzatal im Karakorum im Vinschgau anzubauen, sind kläglich gescheitert. Schnapsbrenner aus Österreich, Deutschland und Oberitalien schwören auf die säurebetonte, duftende Frucht. Der „Marilleler“ (Aprikosenschnaps) wurde zum Flaggschiff der „Schwarzbrenner“.

Strenge Razzien der italienischen Finanzpolizei und übertriebene Ahndungen – teilweise längere Gefängnisstrafen – brachten dieses „Handwerk“ beinahe zum Erliegen. Doch ein neues Gesetz hat die Brennkultur wieder belebt. Unzählige Hofbrennereien machen den Vinschgau zum hochprozentigen Eldorado. Im Windschatten der emsigen Veredler hat sich ein mutiger Baumeister seinen Lebenstraum erfüllt. In Glurns errichtet er die erste Whisky-Destillerie Italiens (Puni) und greift dadurch wieder auf die alte Korntradition zurück. Für Schnapsideen waren die Vinschgauer immer schon zu haben und sie wurden daher mitunter auch als „Lügner“ beschimpft. Flunkerer trifft da schon eher zu. Der Suldner Tausendsassa und selbst ernannte Hofnarr Paul Hanny, der Angela Merkel auf ihren Wanderungen rund um den Ortler begleitet, hatte einmal behauptet, eine Kuh habe ihm 10.000 Mark gefressen. Prompt schaffte er es damit auf das Titelbild der Bild. Als Hanny kurz darauf verkündete, dass Michael Jackson in Sulden verweilte, schenkten ihm die Gazetten keine Aufmerksamkeit mehr – diese Geschichte aber stimmte.

Norbert C. Kaser, der spitzfedrigste unter den Südtiroler Dichtern, beschrieb Meran als „bundesdeutsches Altersheim“. Das war vor über 50 Jahren. Doch die Stadt vor verschneiten Berggipfeln und unter Palmen ist weit mehr als ein Sehnsuchtsort betagter Urlauber. Meran kann auf eine lange touristische Tradition zurückblicken. Mit dem Bau der Eisenbahn kam der europäische Hochadel in das kleine Städtchen zwischen Passer und Etsch. Prächtige Hotels entstanden. Die k. u. k. Kulturprominenz frönte dem milden Winterklima. Das touristische Handwerk wird hier seit 150 Jahren gelehrt. In zwei renommierten Hotelfachschulen – einer deutschen und einer italienischen – holen sich Aber- tausende das nötige Rüstzeug. Das ehemalige Hotel Kaiserhof – der Name rührt vom Besuch der österreichischen Kaiserin Elisabeth, besser bekannt als Sisi – ist die erfolgreichste Talenteschmiede für Köche. Ein Glück, nicht nur für das Burggrafenamt, wie der Meraner Raum auch genannt wird. Das mediterrane Klima lässt hier beinahe alles gedeihen. Die Hänge von Schloss Trauttmansdorff sind mit Tausenden Ölbäumen bestückt, aus denen edles Olivenöl gewonnen wird. Erzherzog Johann von Österreich pflanzte die ersten Blauburgunderreben Südtirols in den Weinbergen um Schloss Rametz. Der Querkopf und Feinschmecker unter den Habsburgern heiratete gegen den Familienrat die Meraner Postmeistertochter Anna Plochl und fiel dadurch endgültig in Ungnade. Anna war eine begnadete Köchin – das Koch- buch kann auf Schloss Schenna begutachtet werden. Im angrenzenden Mausoleum wurde der Erzherzog beigesetzt. Doch der streitbare Aristokrat und bekennende Meran-Fan war nicht der einzige, der die Kurstadtküche bereicherte. Ein reger Aus- tausch mit der Wiener – ergo der böhmischen – Küche wurde gepflegt. Nach dem Ersten Weltkrieg kam dann die italienische Komponente dazu. Viele Gäste aus dem Norden aßen ihre ersten Spaghetti in Me- ran. Heute ist die knapp 40.000 Einwohner zählende Stadt immer noch der Touristenmagnet schlechthin. Naheliegend, dass sich die umliegenden Talschaften vom Kuchen etwas abschneiden wollen. Touristiker prägten daher den zweckgebundenen Begriff „Meraner Land“. Dieser umfasst das Passeier und das Ultental, den Tschöggelberg (das Hochplateau links der Etsch) und den Deutsch-Nonsberg. Im Süden reicht das Gebiet bis nach Terlan. Nirgendwo anders in Südtirol gibt es so viele kulinarische Hotspots wie im Meraner Ballungsgebiet. Die facettenreiche Hotelauswahl trägt wesentlich dazu bei, das „Seniorenimage“ Merans aufzupolieren. Am Ende streckte auch Norbert C. Kaser die Waffen und schwärmte von Meran als „feingliedriger Braut des Südens“.

Gault&Millau Genusstipps in Meran & Vinschgau

TEXT Hartwig Mumelter

FOTOS IDM Südtirol­Alto Adige / Marion Lafogler & Alex Filz