Jean-Nicolas Méo, der gute Gärtner

In der Mitte der Fünziger stehend und komplett in sich ruhend, wirkt Jean-Nicolas Méo mit seiner wohltuend ruhigen Art und seinen schlanken Händen mehr wie ein Konzertpianist, als ein Agronom auf der wohl teuersten Scholle Land, die es auf dem Erdenrund zu finden gibt.

Von den rund zehn Hektar Rebfläche im Familienbesitz von Jean-Nicolas Méo ist ein Viertel als Grand Cru klassifiziert. Diese Einteilung, ursprünglich als Abgrenzung und Bestimmung der besten Weinbergslagen gedacht, geht zurück auf den Zisterzienser-Orden, der durch viele elementare Erkenntnisse rund um den Weinbau die Weinkultur – wie wir sie heute erleben – stark geprägt hat.

Die klugen Zisterzienser-Mönche, in Frankreich auch Bernardins genannt, widmeten sich der Weinbergsarbeit im Sinne von guten Gärtnern, für welche das Wohlergehen der ihnen anvertrauten Pflanzen die oberste Priorität hat. Einnahmen aus Verpachtung und Zinsen sowie die Erhebung des „Zehnten“ lehnten sie ab. Die Abgeschiedenheit von der Welt und Einfachheit der Lebensweise gehörten zu ihren Grundidealen, insofern war es auch nicht der Weingenuss selbst, vielmehr das beobachten und begleiten der Rebpflanzen über das Jahr im Geiste des christlichen Vermächtnisses „ich bin der Rebstock, ihr seid die Reben“, was wiederum die große Hingabe zum Wein im zisterzienserischen Tun und Handeln begründete.

In dieser Tradition des guten Gärtners wirkt heute Jean-Nicolas Méo, der tatsächlich auch viel Freude an der privaten Gartenarbeit und darüber hinaus am Klavierspiel hat, als oberster Hüter der weltweit einzigartigen Qualität der Weinberge rund um seinen Heimatort und Sitz des Weingutes in Vosne-Romanée. Direkt angrenzend an dieses kleine Dorf mit etwas über 300 Einwohnern wachsen die gesuchtesten und damit auch die teuersten Weine der Welt. Während die Preise für Spitzenlagen in Deutschland selten zehn und noch seltener zwanzig Euro für einen Quadratmeter übersteigen, sind Grand Cru-Lagen in Burgund, wenn sie denn überhaupt auf den Markt kommen, aktuell nicht unter 2.500 Euro pro Quadratmeter zu erstehen.

Dieser Preis-Weltrekord gründet auf dem legendären Ruf der brillanten und höchst individuellen Wein-Qualitäten aus der äußerst anspruchsvollen Rebsorte Pinot Noir sowie auf dem enormen Alterungspotenzial der großen Rotweine von Vosne-Romanée. Im speziellen Fall der noch relativ jungen, etwas über dreißig Jahre alten Domaine Méo-Camuzet hat dieser Kultstatus allerdings auch mit außergewöhnlichen Weinpersönlichkeiten zu tun. Allen voran steht hier der vor fünfzehn Jahren verstorbene, seit jeher stilprägendste Winzer in Burgund, Henri Jayer, der von 1945 bis 1988 als Pächter verantwortlich für die Weinberge des Vaters von Jean-Nicolas und für die Weinbereitung war, so wie in dieser gedanklichen Erbfolge auch der aktuelle Hausherr selbst.

Nur ganz wenige Weine auf der Welt spiegeln so glasklar und punktgenau die Persönlichkeit ihres Erzeugers wider, wie dies im Zusammenspiel von Monsieur Méo mit seinen subtilen Gewächsen geschieht. Man hat durchaus den Eindruck, dass hier das musische Talent es möglich macht Weinbergslagen zu orchestrieren. Schon der weiße „Einstiegswein“ aus der nicht klassifizierten und auch nicht so teuren Hautes Côtes de Nuits Monopol-Lage stammende Clos St. Philibert trägt Züge der noblen roten Schwester-Gewächse. Anfangs immer ein wenig verschlossen, geradlinig in der geschmacklichen Entwicklung, fast wie mit dem Lineal gezogen, niemals explosiv oder maulfüllend, offenbaren diese Wunderwerke der Natur, crescendo gleich, erst nach und nach ihr gesamtes Aromen-Spektrum.

So ist Jean-Nicolas Méo selbstredend auch kein Mann des lauten Auftritts oder der kantigen Töne. Wie der Wein, der aromatisch eben nicht gleich aus dem Glas springt, um zu sagen hier bin ich, fühlt man sich eher zu einer Entdeckungsreise eingeladen, auf welcher man das Zwiegespräch, sowohl beim Wein wie beim Winzer suchen und dabei sehr genau hinhören, beziehungsweise sich hineindenken und hineinschmecken muss. Erst dem, der sich auf diesen Dialog einlässt, offenbart der Wein seine ganze geschmackliche Tiefe und Vielfalt, eine berührende Erfahrung, welche im Wissen und in den Erläuterungen Méo‘s ihren sinnlichen Nachhall findet.

So ist auch das aktuell so populäre „kontrollierte Nichtstun“ im Weinbau nicht so ganz die Sache von Monsieur Méo und seinem jungen Team mit dem aus Deutschland stammenden Kellermeister Peer an der Spitze. Die einzelnen Lagen werden je nach Topografie und Sonnenexposition sehr individuell und dabei ökologisch bearbeitet, ohne dass ein Bio-Siegel die Konter-Etiketten ziert. Auch ist der früher doch markante Holzeinsatz im Wein über die Jahre hin einer immer subtileren, in sich gekehrten Stilistik gewichen, die nicht überzeugen will, sondern mit sanftem Ausdruck und purer Harmonie die Kraft der inneren Bilder entzündet. Dieses Kopfkino, welches nur die eigenständigsten und unverwechselbarsten Weine auslösen können und somit den Genius loci der mythischen Lagen fast greifbar macht, ist das größte Geschenk an alle Weingenießer.

So ist es nicht verwunderlich, dass Jean-Nicolas kein großer Freund des so gehypten australischen Shiraz ist, aber die Feinwürzigkeit des Steirischen Blaufränkisch, oder auch des Lembergers aus Württemberg durchaus zu schätzen weiß. Als Tipp für den optimalen Weingenuss hält der Winzer folgende Regel parat: „Zwei, drei Jahre alt zeigen sich die Weine in einer jugendlich attraktiven Phase, die schwierigste Zeit ist im Alter um die fünf Jahre, ideal ist es ihnen mindestens zehn, besser zwölf bis fünfzehn Jahre Zeit zu geben. 2017 mag hier eine Ausnahme darstellen, dieser Jahrgang ist allgemein schon jetzt sehr zugänglich, im Jahrgang 2020 dagegen sollte man auch bei den einfacheren Weinen auf jeden Fall genügend Geduld mitbringen!“

Eine Frage der Lage: Die Weine der Domaine Méo-Camuzet im Jahrgang 2020

Ab dem 23. August startet bei Méo die früheste Lese seit Menschengedenken, beginnend mit dem Pinot Noir, vier Tage später gefolgt vom Chardonnay, was ebenso außergewöhnlich ist, denn in 2019 sowie in den Vorjahrgängen war diese Reihenfolge immer umgekehrt.

Eine „best buy“ Empfehlung zum Einstieg in das Méo-Universum ist der elegante, rote Bourgogne „Côte d’Or“, aus Lagen in den Gemeinden Vosne-Romanée und Flagey-Echezeaux, welcher dem Weinguts-Gründervater Etienne Camuzet gewidmet ist. Bourgogne „Côte d’Or“ ist eine brandneue Bezeichnung, welche aus dem Streit mit dem Beaujolais, wo man sich auch als Burgunder fühlt und somit auch den Begriff Bourgogne auf dem Weinetikett führen will, entstanden.

Die „einfache“ Dorflage Vosne-Romanée, rauchig, pikant mit Noten von Zimt ist immer eine Bank. Im August 2020 war es eine Woche sehr heiß, wobei es sehr wahrscheinlich zu einem Vegetations-Stopp gekommen ist, was sich aber in der Qualität der Weine nicht bemerkbar macht.

Auch der Vosne-Romanée aus derPremier Cru-Lage „Les Chaumes“ wird nach Einschätzung von Monsieur Méo „langsam seriös“.

Eine weitere jahrgangsspezifische Spezialität ist der Nuits-St.Georges Premier Cru, eine dem Hagel geschuldete Komposition aus den Toplagen „Les Perrières“ mit typischer, feiner Würze und aus „Les Terres Blanches“, welche für die herrlich spürbare Mineralität verantwortlich ist.

Der Nuits-St.Georges Premier Cru „Aux Murgers” dagegen präsentiert sich seidig sanft.

Der Chambolle-Musigny Premier Cru „Les Charmes“ fasziniert mit mystischer Tiefe, dunkler, kühler Aromatik und feinen Brombeer-Noten.

Für uns Jahr für Jahr der beste Clos de Vougeot Grand Cru ist im Jahr 2020 ganz besonders fein gewoben, Monsieur Méo spricht in der ihm eigenen Zurückhaltung von „beaucoup de délicatesse“. Die Zisterzienser-Mönche haben die besten Parzellen in dieser großen Anlage zwar nie verraten, anzunehmen ist allerdings, dass es wohl Meos Rebzeilen direkt neben dem Schloss, welches auf einer Felsplatte steht, sind. Bereits nach 40 bis 80 Zentimetern Humus kommt hier schon der Kalkfelsen rund drei Hektar sind im Familienbesitz, ein Drittel davon wurde in den 1920er Jahren von Etienne Camuzet gepflanzt.

Der für uns ebenfalls beste Corton Grand Cru stammt aus dem „Clos Rognet“ und von neunzig Jahre alten Reben, „une valeur sure” ist Monsieur Méo überzeugt. Er zeigt seine Klasse vor allem im Alter, die Reben wurden von Etienne Camuzet 1927 gepflanzt. Der mit Kalksteinen durchsetzte Lehmboden ist nur ca. 30 cm tief, darunter ist purer Kalk. Der Corton Clos Rognet ist besonders langlebig. Nach einigen Jahren Flaschenreife zeigt sich seine Kraft, Mineralität und Klasse. Für uns gibt es kaum einen besseren Corton.

Der Echezeaux Grand Cru „Les Rouges du Bas” liegt neben der Premier Cru-Parzelle Vosne-Romanée „Les Rouges du Dessus“ und hat laut Monsieur Méo zwar etwas „demonstratives“, braucht aber mindestens zwanzig Jahre Reife. Die Lage wurde ursprünglich wie der Clos de Vougeot von Zisterzienser-Mönchen angelegt.

Noch gesuchter als viele der großen Gewächse ist der Premier Cru Cros Parantoux, eine steinige, sehr schwierige Lage, welche nach dem Reblaus-Befall bis über die Krisenjahre nach dem Ersten Weltkrieg hinaus verlassen war, wurde durch den legendären Henri Jayer rekultiviert. Nicht nur Steine sondern auch Minen mussten entfernt werden, Jean-Nicolas Méo spricht daher von einer Lage „assez dynamique“. Diese in jeder Hinsicht herausragende, nur ein Hektar große Parzelle wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von Henri Jayer neu bepflanzt.

Mit dem Grand Cru Richebourg „un personnage très réservé et élégant“ beschreibt Monsieur Méo sein Alter Ego. Der Besitz mit 70 Jahre alten Reben in dieser famosen Lage ist nur ein Drittel Hektar klein und liegt im oberen Bereich, „Les Veroilles“ genannt.

TEXT Otto Geisel/ FOTOS Joachim Baldauf