Gelebte Vielfalt

Südtirols Landeshauptstadt zeigt sich lebendig, weltoffen und zugleich traditionsverbunden. Schnell gelangt man von der alten Handelsstadt Bozen hinauf in die wohltuende Sommer- und auch Winterfrische.

TEXT Ella Authier | FOTO IDM Südtirol/Harald Wisthaler

Für die einen ist sie das Tor zum Süden, für die anderen der Übergang in den Norden. Südtirols Landeshauptstadt Bozen liegt eingebettet in hügelige Weinberge mit Blick in die Dolomiten und wirkt im Auge des Betrachters mal mediterran, mal alpin. Es sind ihre Ambivalenz und ihr besonderer Charme, die diese Stadt auszeichnen. Die perfekte Verbindung äußert sich sowohl in den kunsthistorisch bedeutsamen Sehenswürdigkeiten als auch in der Lebensart der 107.000-Einwohner-Stadt. Die Geschichte lässt sich vorzüglich aus der Architektur der Stadt ablesen: von der engen Laubengasse aus dem 12. Jahrhundert über die mit Erkern und Türmchen bestückten Stadthäuser aus den 1890er-Jahren bis hin zu monumentalen Bauten im rationalistischen Stil aus den 1930er-Jahren.

Über Jahrhunderte war das an der Brenner-Route gelegene Bozen wichtiges Handelszentrum zwischen dem Mittelmeerraum und Mitteleuropa. Aus dem Norden kamen Felle, feine Stoffe, Papier, Waffen und Zinn, aus dem Süden Gewürze, Südfrüchte, Baumwolle, Seide, Öl und Wein. Der Handel mit exotischen Gewürzen begründete den Wohlstand der Stadt Bozen bereits im Mittelalter. Wie aus verschiedenen landesfürstlichen Rechnungsbüchern und Notariatsdokumenten hervorgeht, sind orientalische Gewürze, wie Safran, Ingwer, Zimt, Muskatnuss, Pfeffer und Rohrzucker, dokumentiert, ebenso Bockshorn, die Früchte vom Johannisbrotbaum, auch Karubenbaum genannt, ursprünglich aus Indien kommend. Benediktinermönche haben die Pflanze in Südtirol eingeführt, in ihren Klostergärten kultiviert und deren Früchte als Mehl in der Küche verwendet.
Bozen ist nach Eppan und Kaltern die drittgrößte Weinbaugemeinde Südtirols. Hier gedeiht auf fruchtbaren, lockeren Moränenschuttböden an südlich ausgerichteten Hängen der beliebte St. Magdalener, ein zeitloser Rotwein aus Vernatsch-Trauben und einem Anteil von in der Regel nicht mehr als zehn Prozent Lagrein. Der ebenso in Bozen beheimatete Lagrein bevorzugt die Tallagen von Gries. Wenn es in Südtirol einen Weinbau-Betrieb gibt, der synonymhaft für eine Rebsorte steht, dann ist das die Kellerei der Abtei Muri in Gries, der seit 30 Jahren Kellermeister Christian Werth seinen Stempel aufdrückt. Gleichwohl steht auch der Name Gries, ein ebenso schöner, durch historische Bausubstanz und nicht zuletzt durch die Klosteranlage Muri geprägter sowie weinbautechnisch gesehen wichtiger Bozner Stadtteil, mit der Rebsorte Lagrein in innigster Verbindung. Denn ganz besonders hier in Gries gedeiht diese autochthone Südtiroler Parade-Rotweinsorte auf durch den Talfer-Fluss geschaffenen, ganz speziellen Bodenformationen. Die weißen Sorten hingegen finden sich vorwiegend in höheren Lagen um Bozen. Die Trauben lieben die großen Unterschiede in den Tagestemperaturen und die südlichen Winde, von denen das Bozner Klima geprägt ist.


Zurück im Stadtzentrum schlendert der Besucher durch historische Gassen, findet dort schöne Geschäfte und stößt an jeder Ecke auf Bars, Vinotheken und Kneipen. Rein kulinarisch gesehen hat die Landeshauptstadt traditionelle Hotels, Gasthäuser und Restaurants ebenso wie italienische Trattorien und Pizzerien zu bieten, wobei sich neue gastronomische Konzepte nur spärlich durchsetzen. Abends wird die Innenstadt vor allem von einer jungen Szene belebt. Einst recht beschaulich, öffnete sich das traditionsbewusste Bozen vor allem durch die Gründung der Freien Universität Bozen im Jahr 1997 und der Ausstellung der Gletschermumie „Ötzi“ im Südtiroler Archäologiemuseum 1998 im Stadtzentrum einem internationaleren und auch jüngeren Publikum. Das Museum für moderne und zeitgenössische Kunst Museion sowie die internationale Forschungseinrichtung Eurac Research verstärken den Sogeffekt.

Die Bozner selbst zieht es an Wochenenden und vorzugsweise im Sommer, wenn es in der Stadt drückend heiß wird, hinauf auf die Höhen rings um Bozen. Mit einer bereits 1908 in Betrieb genommenen Pendelbahn erreicht man beispielsweise das Bergdorf Kohlern, wo Familie Schrott in ihren historischen Gasthof einlädt. Dieser traditionsbewussten Familie ist es zu danken, dass man schon beim Betreten dieses gastlichen Hauses durch das im besten Sinne des Wortes konservative Bewahren des Original-Ambientes jedwede Zeitrechnung vergisst. So zeitlos eingestimmt nimmt man an den großen Panorama- Fenstern Platz und bestellt das für Bozen so typische Stockfisch-Gröstl mit Kümmel-Kraut-Salat, ein Gericht, das hier noch auf Wunsch in seiner Original-Version „kapuzinerisch“ mit Kapern und Sardellen etwas „raßer“ und ohne dekorativen Schnick-Schnack zubereitet wird.

Die feine Bozner Gesellschaft pflegte seit jeher besonders zum Ritten einen innigen Bezug. Alljährlich zu Beginn des Sommers war und ist es Brauch, dass man in die „Frisch“ geht. Die traditionelle Sommerfrische dauerte genau 72 Tage. Pünktlich am 29. Juni, dem Peter- und Paulstag, wurden Hausrat und ausreichend Wäsche der wohlhabenden Bozner Familien in Truhen und Koffern verstaut, die Kinder in die sogenannten „Pennen“ (aus Ruten geflochtene Tragkörbe) gepackt und zusammen mit der „gnädigen Frau“ – diese saß meist im Damensattel hoch zu Ross – in luftige Höhe gebracht. Ebenso pünktlich und plötzlich, wie sie im Juni alljährlich in ihrem Sommerdomizil in den schmucken Bergdörfern am Ritten auftauchten, verschwanden die „Frischler“ dann spätestens Anfang September wieder. Für Tagesgäste ist Oberbozen vom Bozner Stadtzentrum bequem mit einer Seilbahn zu erreichen. Wer die über 6,5 Kilometer in der Schmalspurbahn dann weiter nach Klobenstein fährt, spürt das Flair alter Tage und genießt einen fantastischen Ausblick auf die Dolomiten.

Bei Jenesien und Mölten am Tschögglberg lädt der besonders sonnige Salten, Europas größtes Lärchenhochplateau, vor allem zu Wanderungen ein. Hier sind die berühmten Haflinger-Pferde zu Hause. Jenesien ist die Gemeinde mit den meisten Kastanienbäumen. In der Südtiroler Herbst-Küche spielt die Kastanie eine herausragende Rolle. Auf 1.200 Metern Meereshöhe findet sich in der Nachbargemeinde Mölten die höchstgelegene Sektkellerei Europas. Die Lage und die natürlichen Temperaturschwankungen sind optimal für die gleichmäßige Reife und Lagerung der Sekte. Familie Reiterer keltert die fruchtigen, eleganten „Perlen“ aus Chardonnay, Weiß- und Blauburgunder und setzt ausnahmslos auf die klassische Flaschengärung.

Zwischen dem Ritten und dem Tschögglberg bahnt sich die rauschende Talfer den Weg durch Südtirols größte Gemeinde. Umrahmt von den Sarntaler Alpen entfaltet sich im Sarntal, geografisch gesehen das Zentrum des Landes, eine faszinierende Naturlandschaft, die in einer halben Stunde durch neue Tunnels aus der Landeshauptstadt erreichbar ist. Die Sarner sind ein bodenständiger Menschenschlag und nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen. Diese Eigenschaft kommt auch Heinrich Schneider zugute, der sich hoch über Sarnthein in seinem „Terra“ großen Respekt erkocht hat. Schneiders Liebe gilt vor allem den Kräutern und Gewächsen der Natur, die in praktisch all seinen Gerichten Platz finden.

Von Bozen direkt in die fantastische Welt der Dolomiten führt das Eggental. Während in den kleinen Dörfchen des Tales Beschaulichkeit herrscht, erfährt das attraktive und weitläufige Skigebiet Obereggen im Winter regen Zulauf. Sommers zieht es Ausflügler und Feriengäste in die schönen Berglandschaften bei Steinegg, Welschnofen, Deutschnofen und Petersberg. Der smaragdgrün funkelnde Karersee, eingebettet in eine grandiose Berg- und Waldkulisse, gilt als einer der schönsten Gebirgsseen im gesamten Alpenraum.

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