„Essengehen ist mehr als nur Sattwerden“ – Gault&Millau Entdeckung des Jahres Adrian Kuhlemann im Porträt

Knapp einhundert Kilometer bahnt sich die Waldnaab ihren Weg durch die malerisch-grünen Täler und imposanten Felsformationen der nordbayerischen Oberpfalz. Auf ihrem Weg von der Quelle bei Silberhütte bis zur Vereinigung mit der Naab bei Unterwildenau durchquert das Flüsschen auch die 6.000-Einwohner-Gemeinde Neustadt. Einst war hier sogar Elvis Presley zu Gast. Der Star der Stunde ist zurzeit allerdings jemand anderes: Adrian Kuhlemann – vom Gault&Millau ausgezeichnet als Entdeckung des Jahres 2022. 

Der „Kuhlemann Adrian“, wie er sich selbst vorstellt, ist ein junger Mann von 32 Jahren. Ruhig ist er, etwas in sich gekehrt, und doch voller Tatendrang und dem Streben nach Neuem. Die Wirkungsstätte für sein Unterfangen hat der Koch nach Stationen im Nürnberger Essigbrätlein, bei Vincent Klink auf der Wielandshöhe und einem Praktikum im Rahmen der Fundaziun Uccelin von Andreas Caminada im eigenen Restaurant Kuhlemann gefunden. In den Räumlichkeiten des seit mehr als einhundert Jahre im Familienbesitz befindlichen Hotels seiner Eltern umsorgt er seine Gäste mit kulinarischen Freuden zum kleinen Preis. Schlanke 70€ kostet das siebengängige Menü, das sich gegen einen kleinen Aufpreis um hausgemachte Charcuterie und zwei Überraschungen ergänzen lässt. 

Bei der Auswahl seiner Produkte legt der Zweiunddreißigjährige nicht nur Wert auf deren nachhaltige und regionale Herkunft, sondern geht noch einen Schritt weiter und baut sie zum Teil sogar im Gewächshaus seiner Cousine selbst an. Ob alte Tomatensorten, Erbsen oder Wildkräuter, Kuhlemann beobachtet die Pflanzen in all ihren Entwicklungsstadien und will dabei lernen, die unterschiedlichen Komponenten für sich einsetzbar zu machen. Seine Philosophie weiß er klar zu formulieren: „Essengehen ist mehr als nur Sattwerden, es ist eine Kulturleistung.“ 

Dementsprechend verschreibt sich Kuhlemann auch über Selbstangebautes hinaus ganz einem zeitgemäß-lokalen Umgang mit den von ihm verarbeiteten Lebensmitteln: „Wir wollen unsere Landwirt*innen, Bäuer*innen, Züchter*innen, Produzent*innen und Handwerker*innen, mit denen wir zusammenarbeiten dürfen, persönlich kennen und nicht nur für ihre Arbeit schätzen – es muss eine gewisse Sympathie füreinander geben“, heißt es auf der Website des Restaurants. Kein Produzent arbeitet weiter als 30 Autominuten vom Restaurant entfernt. 

Sika mit Spitzkohl

Die Produkte dieser „positiven, verrückten Menschen“ verarbeitet Kuhlemann in seinem stetig wechselnden Menü zu Gerichten, die sich bereits durch ihre simplen Namen – Lachsforelle mit Wassermelone, Breite Bohne mit Grillsaft, Joghurt mit Sommerbeeren – von einer allzu artifiziellen Showgastronomie abzuheben wissen. Minimalistisch inspiriert kommen die Gänge auch auf den Teller, mit stimmiger, schnörkelloser Ästhetik und klarer Aromatik, die das Hauptprodukt stets im Fokus behält. Auf die Leichtigkeit seiner Küche, die er durch den vermehrten Einsatz von Gemüse, Fisch und frischen Kräutern zu erreichen weiß, legt der Küchenchef dabei ebenso großen Wert wie auf ihre heimatliche Verortung.  

Kuhlemanns Restaurant galt bis vor Kurzem noch als echter Geheimtipp, etwas zu versteckt lag es zunächst, um die Aufmerksamkeit zu erlangen, die ihm gebührt. Das könnte sich mit der Auszeichnung nun ändern: „Im elterlichen Hotel kocht er so sensibel und eigenständig, so konsequent regional und ästhetisch ausgereift, wie man es heute vielleicht in Kopenhagen erwarten würde – aber nicht im Oberpfälzer Wald kurz vor der tschechischen Grenze“, heißt es in deren Begründung. Kuhlemann freut das sichtlich: „Ich finde es sehr gut, dass man uns hier in der Oberpfalz, sozusagen im ‚Hinterland‘, in einem Atemzug mit ausgezeichneten, großen Restaurants, zum Beispiel in Kopenhagen, nennt und vergleicht“, sagt er gegenüber der AGHZ. 

Dass es den Oberpfälzer in absehbarer Zeit doch noch in die große weite Welt zieht, ist unwahrscheinlich: „Es stand für mich immer fest, dass ich in meinem eigenen Betrieb arbeiten will. Für mich sind die Oberpfälzerinnen und Oberpfälzer Genussmenschen und deswegen passt unsere Küche hier hin wie jede andere auch. Auch wenn ich als Koch überall auf der Welt arbeiten könnte, war für mich eigentlich immer klar, dass ich hierher will und somit habe ich mir nie über einen anderen Fleck auf dieser Erde Gedanken gemacht.“ 

Text: Nick Pulilna

Foto: Florian Reimann