Eine Bühne für alte Sorten

Vom Acker direkt auf den Teller: „Farm to Table“ ist ein Konzept, das mit viel Aufwand zu mehr Geschmack und weniger normierten Produkten führt. Spitzenkoch Dustin Dankelmann setzt es konsequent um.

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TEXT Arno Makowsky | TITELFOTO Dustin Dankelmann

Neulich hat Dustin Dankelmann mit einem Tomatenzüchter aus San Francisco Kontakt aufgenommen. Über Instagram. Es ging um eine besondere alte Sorte mit einem besonderen Geschmack, um eine Tomate also, die es hierzulande schon längst nicht mehr gibt. Dankelmann möchte sie gerne selbst anbauen, so wie er Hunderte beinahe vergessene Gemüse- und Obstsorten in den Gärten und auf den Ackerflächen rund um sein Restaurant anbaut. Nicht weniger als 750 seltene Sorten und kaum bekannte Kräuter wachsen hier in Schriesheim in der Nähe von Heidelberg. Wenn der junge Küchenmeister über dieses Projekt spricht, wenn er von einer chinesischen Weißdorn-Züchtung schwärmt („fünfmal so groß wie bei uns“) oder von „total verrückten Kreuzungen von Zitrusfrüchten“ – dann spürt man die Begeisterung, mit der er bei der Sache ist. Seine Idee: Er möchte in seinem Restaurant, das im Frühsommer im Schriesheimer Mühlenhof eröffnet werden soll, nur Produkte aus 100 Prozent Selbstanbau verarbeiten. Und diese Produkte sollen anders schmecken als alles andere, was man im Handel so bekommt. Besser.

Morgens geerntet, mittags in der Küche

„Farm to Table“ heißt das Konzept, das in der Gourmetwelt für Diskussionen sorgt, und das in Deutschland vielleicht niemand so konsequent umsetzt wie Dustin Dankelmann. Heißt: Gemüse und Obst kommen vom Feld direkt auf den Teller. Kein Einkauf, keine langen Wege, keine Lagerung. Stattdessen: Was morgens geerntet wird, landet spätestens mittags in der Küche. Beispiel Erdbeeren: Alte Sorten wie etwa die italienische Walderdbeere schmecken wesentlich aromatischer als die üblichen Produkte aus dem Großmarkt, sind aber praktisch nicht lagerfähig. Um sie im Restaurant zu verwenden, müssen sie auf dem eigenen Feld angebaut werden.

Dustin Dankelmann, zuletzt Küchenchef im Heidelberger „959“ (zwei Hauben schwarz), hat bereits eine beeindruckende Karriere hinter sich, wurde ausgebildet bei Hans Stefan Steinheuer und arbeitete in den Top-Restaurants von Yannick Alléno in Paris und Klaus Erfort (Gästehaus Klaus Erfort, vier Hauben schwarz) in Saarbrücken. 2020, im Alter von 26 Jahren, wurde er von Gault&Millau als „Entdeckung des Jahres“ gefeiert. Und nun eröffnet er demnächst sein erstes eigenes Feinschmecker-Restaurant. Es heißt „Raro“, das lateinische Wort für „selten“. Mindestens so wichtig wie das Haus selbst ist dem Chef aber das Außenrum: Die landwirtschaftlichen Flächen, auf denen Gemüse und Obst aus aller Welt wachsen.

Der Winter? „Eine Herausforderung“

So richtig planen lassen sich Gerichte nach diesem Konzept nur schwer. „Wir haben zum Beispiel fünf verschiedene Pfirsichsorten, aber wissen nicht, an welchem Tag genau sie optimal reif sind“, sagt Dustin Dankelmann. Man werde eben sehen, was die Gärtner in der Küche abliefern und dann entscheiden, wie das Menü aussehe. Und im Winter, wenn die Äcker außer Kohl und Wurzelgemüse nicht viel hergeben? „Eine Herausforderung“, sagt der Küchenmeister und lacht. „Aber keine Sorge, auch dann kochen wir nicht nur mit Rüben und sauren Gurken.“ Die Rhein-Neckar-Region zeichne sich durch ein mildes Klima aus, und dann gibt es ja noch das Gewächshaus.

Im Übrigen soll das „Raro“, trotz eines Schwerpunkts auf Gemüse und Obst, kein rein vegetarisches Restaurant sein. Auch Fleisch und Fisch werden auf der Karte stehen, wann immer möglich soll es von befreundeten Produzenten aus der Region kommen. „Es darf aber auch mal ein toller Fisch aus der Bretagne sein.“

Neben aller Freude an Experimenten mit alten Sorten und ungewöhnlichen Züchtungen treibt Dustin Dankelmann – wie alle Köche, die dem „Farm to Table“-Konzept anhängen – auch ein politischer Aspekt an. Es geht um Vielfalt und um den Erhalt alten Saatgutes, um ein Gegenkonzept zum industriell hergestellten, normierten Designergemüse. „Alles, was Sie im Supermarkt bekommen, wird auf Ertrag, Transport- und Lagerfähigkeit gezüchtet. Der Geschmack spielt nur eine untergeordnete Rolle.“ Der Saatgutmarkt, sagt Dankelmann, werde von wenigen Produzenten beherrscht. „Viel tolles Erbgut, das über Generationen weitergegeben wurde, verschwindet damit.“ Andererseits müsse man auch den Kostenaspekt sehen. „Ein normaler Landwirt kann die alten Sorten kaum anbauen, dafür müsste er horrende Preise verlangen.“ Im Kontext eines Spitzenrestaurants sei das anders, hofft Dankelmann.

Reizvolle Perspektiven

Man wird sehen, wie es mit „Farm to Table“ weitergeht, ob es eine Nische bleibt, oder sich tatsächlich zum Trend entwickelt. Für Restaurants auf dem Land bietet das Konzept jedenfalls reizvolle Perspektiven. Und natürlich für den Geschmack. Dustin Dankelmann sagt: „Je besser die Qualität, desto weniger müssen wir selbst mit den Produkten machen.“


Raro im Mühlenhof
restaurant-raro.de
@raro_restaurant