Ein See erwacht

Im oberösterreichischen Salzkammergut, zwischen Salzburg und Linz, ruht mit dem Traunsee ein Gewässer, das schon die Römer den „glücklichen See“ nannten. Eine Reise zwischen süßer Tradition und kulinarischer Innovation.

TEXT Ursula Macher | FOTOS Philipp Horak

Der mächtige Traunstein spiegelt sich wie ein Wächter des Salzkammerguts an der noch dunklen Wasseroberfläche, als Wolfgang Mayr mit seinem Boot ablegt. Vor elf Jahren erwarb der Versicherungsmakler eines von insgesamt 55 Fischereirechten am Traunsee, heute ist es vor allem sein Sohn Ben, der das Hobby zum Beruf gemacht hat und Tag für Tag frühmorgens rausfährt, um die reiche See-Ernte einzuholen. So er darf. Denn an keinem anderen See nimmt man es mit Schonzeiten so genau wie am Traunsee. Dann darf er maximal Netze setzen, sonst nichts. „Daran“, sagt Vater Mayr, „halten wir uns auch zu hundert Prozent. Denn der See hat tausend Augen …“

Wobei: Fische hat der See genug. Die Reinanke, die deutsche Renke, ist der Brotfisch des zwölf Kilometer langen Sees, der mit einer Maximaltiefe von 192 Metern auch das tiefste Gewässer Österreichs ist. Darüber hinaus gibt es Hechte, Flussbarsche, Saiblinge, Aalrutten oder Riedlinge, die Mayr „den kleinen Cousin der Reinanke“ nennt und die für das feine, feste Fleisch beliebt sind. Die Fische werden noch am Boot geputzt und dann direkt auf dem Seeweg ausgeliefert – allen voran zu Lukas Nagl, dem Küchenchef vom Bootshaus.

Das Restaurant, in dem Nagl seit elf Jahren für kulinarische Hochgenüsse sorgt, liegt auf einer Halbinsel am Südwestufer des Sees, in Traunkirchen. Dazu gehört ein kleines, aber umso feineres Hotel, Das Traunsee, das mit Wolfgang Gröller einen einheimischen Patron hat, der als Visionär der Region gilt. Er war es auch, der den heute 34-jährigen Nagl, der zuvor schon im Wiener Steirereck an der Seite von Heinz Reitbauer gekocht hatte, zurück nach Oberösterreich holte und ihm das ermöglichte, wovon viele Köche nur träumen können – die freie Hand.

„Den Leuten eine Freude machen“ ist Nagls oberstes Prinzip. Und Gerichte zu erschaffen, die über einen längeren Zeitraum Bestand haben. Dazu hat ihm Noma-Chefkoch René Redzepi, mit dem er im Rahmen einer Veranstaltung gemeinsam am Herd stand, geraten. Sein Barsch mit Fisolen (grünen Bohnen) sei so ein Gericht, sagt Nagl, dem man verdanken darf, dass es heute so etwas wie einen kulinarischen Tourismus am Traunsee gibt. Nagl, ebenfalls verantwortlich für die Küchenlinie des benachbarten Hotel Post, legt viel Wert darauf, regional und saisonal zu kochen, und räumt auch dem Thema Nachhaltigkeit einen großen Platz ein. So nimmt er beispielsweise den Fischern die komplette Beute ab, was nicht am Teller landet, wird zu Suppen oder Saucen verarbeitet und fermentiert. „Das Wichtigste ist“, befindet Nagl, „dass du dir als Koch den Spieltrieb bewahrst. Beständigkeit in der Qualität und Veränderung in der Küche schließen einander nicht aus.“

Wenn es um Beständigkeit geht, gibt es auch ein paar Kilometer weiter eine unvergleichliche Adresse. In Bad Ischl, dort, wo Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Sisi ihre Sommer verbrachten, der europäischen Kulturhauptstadt 2024, steht die Konditorei Zauner seit 190 Jahren für höchste Zuckerbäckerkunst.

In sechster Generation wird sie seit zwei Jahren von Philipp Zauner geleitet, der neben der Vergangenheit auch die Zukunft im Blick hat. „Dem Neuen gegenüber offen sein, aber den Wert des Bewährten würdigen“, lautet die

Devise des 28-Jährigen, weshalb es inzwischen auch vegane Kreationen in der größten Kuchenvitrine Europas gibt, die insgesamt rund 250 unterschiedliche Mehlspeisen umfasst.

Produkt Nummer eins ist freilich der Zaunerstollen, in dessen Genuss bereits Päpste und KönigInnen gekommen sind und der anders als übliche Stollen aus Haselnuss, Nougat, Schokolade und Karamell besteht. Das Rezept dafür ist seit

1905 unverändert, pro Jahr verlassen gut und gerne 170.000 Stück das Haus. „Wir produzieren nach wie vor sehr handwerklich“, sagt Zauner nicht ohne Stolz, „der Stollen wird von Hand gegossen und auch von Hand geschnitten. Industriemaschinen sucht man bei uns vergeblich.“ Auch die 450.000 Freilandeier aus dem benachbarten Mühlviertel, die in einem Jahr verarbeitet werden, werden hier noch von Hand aufgeschlagen. Deshalb beschäftigt Zauner in seinen Betrieben – dem Herzstück in der Ischler Innenstadt und der Dependance am Ufer der Traun – auch 150 Mitarbeiter, 40 davon allein in der Backstube. Ein Besuch beim Zauner, generell in Bad Ischl, „ist ein wenig wie das Eintauchen in die alte Welt“, sagt der Chef.

Taucht man indes am Siriuskogel wieder auf, dem nur knapp 600 Meter hohen Stadtberg mit herrlichem Blick auf Bad Ischl, sieht diese Welt schon wieder ganz anders aus. Seit Ende 2007 betreibt der gelernte Koch Christoph „Krauli“ Held eines der beliebtesten Ausflugsziele im Salzkammergut, und das mit einem 20-köpfigen Team und klaren Prinzipien. Dort oben am Turm, der übrigens nur über eine 15-minütige Wanderung zu erreichen ist, will man nämlich nicht nur frei von kaiserlichen Attributen sein, sondern gänzlich frei. „Ich will weg von der Karte“, sagt der Chef überzeugt, „am schönsten ist es, wenn du den Gast, der kommt, einfach fragst, was er will – und das bekommt er dann.“ Ein Garten mit neunzig verschiedenen Kräutern und Pflanzen sowie siebzig Hühner, die im Freien laufen, seien für dieses Konzept ebenso hilfreich wie die Kreativität des Chefs, der nahezu alles fermentiert, was ihm so vor die Füße fällt. Zweitausend Gläser werden je nach Saison eingelegt und Eissorten produziert, die man anderswo noch nicht probiert hat. Gletscherwasser zum Beispiel. Oder Steinpilz. Christoph Held: „Wir spielen mit bekannten Produkten und labeln sie neu – ganz einfach.“

Tradition und Beständigkeit, beides in Verbindung mit klaren Visionen – das ist das, was die junge Kreativgarde rund um den Traunsee so besonders macht. Und nicht nur Gäste aus den Städten anlockt, sondern auch Unternehmer. Michael Klein, in der Nähe von Berlin geboren und aufgewachsen, war beispielsweise Chef-Patissier im Wiener Hotel Sacher, ehe er im Juni 2022 gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Sarah Schubert, einer ausgebildeten Logopädin, im Zentrum von Gmunden die französisch inspirierte Patisserie La Sonett aufsperrte. Eigentlich war sie für Wien geplant, aber aufgrund der Corona- Lage kam es – wie so oft – anders als erwartet. Schlussendlich war es Sarahs Onkel, ein Architekt, der die beiden auf die Gmundner Idee brachte und auch gleich für den Umbau des Lokals, einer ehemaligen Bankfiliale, verantwortlich zeichnete. Ein modern-gemütliches Schmuckstück ist es geworden, in dem sich Klein in der Backstube austoben kann, während Sarah den Service verantwortet und die Vermietung der zehn Gäste-Appartements, die zum Betrieb gehören. Der Erfolg gibt ihnen Recht. Klein: „Es bewegt sich gerade enorm viel am Traunsee, man spürt den frischen Wind.“ Ja, das tut man. Und es ist gut so.

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