10 Fragen an…Billy Wagner

INTERVIEW Nick Pulina | FOTO Sophie Köchert

Die prekäre Weltlage, die immer wieder Lebensmittelengpässen und Preissteigerungen führt, hat auch erheblichen Einfluss auf die Gourmetwelt. Einer ihrer schillerndsten Vertreter ist der Berliner Gastronom Billy Wagner, Inhaber und Wirt des Kreuzberger Restaurants Nobelhart & Schmutzig. Wir haben mit ihm über Anpassungen der Preispolitik, die Angst vor einer Elitarisierung des Genusses und sein innovatives Gegenmittel gesprochen: einen satten Rabatt für Studierende und Auszubildende.

Herr Wagner, Europa ist im Ausnahmezustand: Wie wirken sich die allgemeinen Preissteigerungen auf die Auslastung Ihres Restaurants aus?

Wir sind glücklicherweise immer sehr gut besetzt. Abgesehen von den jährlichen Urlaubsphasen, wenn die Berliner:innen in die Uckermark fahren und wir wieder mehr Tourist:innen bei uns haben, ist alles wie immer. Zurzeit sind viele Leute aus der ganzen Welt da. Das ändert sich aber auch in ein paar Wochen wieder. Dass es mal überdurchschnittlich ruhig war, haben wir zuletzt im März erlebt. Aber ruhig hieß da, dass wir zeitweise nicht vierzig, sondern ‚nur‘ fünfunddreißig Gäste am Tresen sitzen hatten. Das war zu verschmerzen.

Alle im Nobelhart & Schmutzig verwendeten Produkte beziehen Sie von befreundeten Produzenten aus dem direkten Umland. Sind Sie also vor aktuell auftretenden Engpässen gefeit und können die Preise stabil halten?

Wir haben die Preise ein bisschen erhöht. Das Menü kostet jetzt fünfzehn Euro mehr. Die Gärtner müssen in diesem Jahr viel mehr wässern. Das ist ein Problem, nicht nur ökologisch, sondern auch finanziell. Wir haben das große Glück, mit vielen verschiedenen Kleingärtnern zu arbeiten, und sie alle merken eine höhere Arbeitsbelastung, die sie allein nicht immer auffangen können. Dann müssen neue Arbeitsplätze geschaffen werden und natürlich gehen die Preise dadurch nach oben. Das ist für uns aber alles noch machbar und geht auch hoffentlich bald wieder vorbei. Allzu sehr will ich die Preise auch gar nicht erhöhen, da bin ich schon sensibel. Allerdings kann es sein, dass wir mit Blick auf den weiteren Jahresverlauf nochmal etwas verändern müssen. Ich beobachte die Lage und schaue dann im Oktober, wie wir weitermachen.

Schafft die zum Teil prekäre Lage, Stichwort Knappheit einzelner Lebensmittel, ein neues Bewusstsein für das Regionale? Frei nach dem Motto: Was ich selbst anbaue, kann im Supermarkt nicht ausgehen?

Es passiert leider eher das genaue Gegenteil. Die Leute kaufen weniger Regionales, sondern gehen vermehrt in Supermärkte. Die Discounter haben im Jahresvergleich zehn Prozent mehr Umsatz gemacht, die Biomärkte haben weniger verkauft.

Natürlich gibt es in meiner Filterblase auch Menschen, die nun selbst Lebensmittel anbauen. Aber außerhalb dieser Blase gibt es eben auch viele Menschen, die total entkoppelt sind von ihrer Umwelt. Es ist schon toll, wenn sie nicht im Supermarkt, sondern im Biomarkt einkaufen oder auf den Markt gehen. Selbst etwas anzubauen ist ein viel größerer Schritt, der uns ja auch gar nicht beigebracht wurde. Welche Schule hat denn noch einen Garten, um überhaupt Grundlagen zu vermitteln? So bleibt es leider eine große Ausnahme, dass sich jemand selbst um seine Lebensmittel kümmert.

Sehen Sie die Gefahr, dass durch die aktuelle Entwicklung der Genuss wieder nur der kleinen Gruppe der Bestverdienenden vorbehalten bleiben wird?

Ja, das ist genau das Problem. Man kann halt sehr viel günstiger einkaufen, wenn man den Fokus nicht so sehr auf den Genuss- und Nachhaltigkeitsaspekt legt. Lars Odefey, einer unserer Produzenten, hat dazu kürzlich etwas sehr Treffendes geschrieben: Jetzt wo viele Bauern auf Bio-Produktion umgestellt haben, kauft kaum noch jemand Bio-Eier. Die Leute kaufen nicht die deutschen Erdbeeren, sondern die aus dem EU-Ausland, weil sie günstiger sind. Und die Spitzengastronomie entfernt sich wieder weiter vom ‚normalen Menschen‘.

Sie bieten in Ihrem Restaurant einen Rabatt für Studierende und Auszubildende an. Ist das ein Instrument, mit dem Sie gegen diese Entwicklung ankämpfen wollen?

Der Grundgedanke war, dass wir mit dem Preis, den wir für einen Abend bei uns verlangen, in gewisser Weise diskriminieren oder ausgrenzen. Also haben wir uns gefragt, wie wir das etwas auflockern können. Natürlich kann man darüber diskutieren, ob 145 Euro für Studierende nicht trotzdem noch viel Geld sind. Das kann sich bei zum Teil 700€ Monatseinkommen per se auch kein Studierender leisten. In Hinblick darauf, dass sich viele aber auch mal ein kostspieliges Festivalticket gönnen oder am Wochenende bei zwölf Stunden im Berghain (Club in Berlin-Friedrichshain, Anm.) schnell 80 bis 90 Euro ausgeben, war mein Gedanke: Wenn dich Genuss interessiert, dann holst du dir von der Oma vielleicht noch einen Fünfziger und kommst zu uns. Genau dieses Interesse wollten wir fördern. Wir wollen nicht nur ältere Gäste hier sitzen haben, die es sich leisten können, dieses viele Geld auszugeben. Es ist doch auch für die älteren Gäste total schön, wenn da jemand ganz Junges sitzt.

Wird das Angebot angenommen?

Ja sehr. Drei- bis viermal die Woche haben wir jemanden da, der studiert. Wir bieten den Rabatt für eine bis zwei Personen pro Abend an und gerade, wenn man alleine kommt, ist da trotzdem immer mal wieder ein freier Platz, mit etwas Glück auch spontan.

Sie kommen dadurch häufiger ins Gespräch mit jungen Menschen, die noch nicht die finanziellen Möglichkeiten eines Vollzeitarbeitenden haben. Spüren Sie bei Ihren jüngeren Gästen ein besonderes Interesse für Lebensmittel?

Wer so viel Geld für ein Essen bei uns ausgibt, hat Interesse am Thema. Wir teilen mit den Menschen, was wir und unsere Produzenten machen und bilden sie so auch ein bisschen weiter. Genauso, wie Wer so viel Geld für ein Essen bei uns ausgibt, hat Interesse am Thema. Wir teilen mit den Menschen, was wir und unsere Produzent:innen machen und bilden sie so auch ein bisschen weiter. Genauso, wie man lernen muss, Englisch zu sprechen oder korrekt zu rechnen, muss man halt auch lernen, zu essen. Nicht jede Familie hat das von Haus aus auf dem Schirm, und wenn sich dann jemand durchringt, ist das doch unterstützenswert. So schaffen wir bei jungen Menschen ganz niederschwellig ein Bewusstsein für gute Ernährung.

Kaum ein anderes Restaurant in Deutschland hat ein ähnliches Angebot. Ist es zu schwer zu finanzieren?

Warum wir da so alleine stehen, weiß ich auch nicht. Ich habe die Inspiration vom Noma in Kopenhagen bekommen. Es ist aber wichtig, dass das gesehen wird. Besonders auch von den anderen Gästen, die dieses Angebot sozusagen mittragen. Die Leute, die hier regulär sitzen, bezahlen den Studi-Rabatt mit. Von den zweihundert möglichen Gästen in der Woche sind im Schnitt acht dabei, die den Rabatt in Anspruch nehmen. Die bekommen für 145€ Fixpreis das komplette Programm und mit denen ich verdiene ich erst einmal keinen Cent. Im Gegenteil: Ich reduziere mit ihnen meinen möglichen Umsatz pro Tag. Zwei Studierende zahlen 290€, mit zwei anderen Gästen könnte ich 500€ verdienen. Das muss natürlich finanziell durchdacht sein. Die anderen Gäste, höchstwahrscheinlich ausgebildete im Beruf stehende Menschen, gehen bei uns Essen, unterstützen dieses Unterfangen mit und fühlen sich dadurch natürlich auch gut. Normalerweise ist Essengehen ja etwas total Egoistisches: Du tust ausschließlich etwas für dich, befriedigst deinen Hunger, willst eine schöne Zeit mit deinem Partner/deiner Partnerin oder willst einfach nur betrunken werden. Das ist auch völlig in Ordnung, niemand will hungrig ins Bett gehen. Aber wirklich interessant wird es dann, wenn du merkst, was du alles damit auslöst, wenn du bei uns isst.

Haben Sie einen Tipp, wie man sich auch mit einem geringen Einkommen nachhaltig und gesund ernähren kann?

Ganz einfach: saisonal und regional einkaufen. Wenn die Prime Time für Erdbeeren oder Kirschen ist, sind sie immer günstiger. Wer direkt von einem Menschen kauft, weil er auf einen Markt geht und dort der Jahreszeit entsprechend lokal einkauft, kann sparen. Beim lokalen Produzenten verdient außerdem zwischendrin niemand mit. Ein Händler muss ja auch Gewinn machen.

Die Küche in zehn Jahren – wie wird sie sein?

Über das Instrument eines gewissen regionalen Bewusstseins ist mittlerweile viel mehr Diversität in den Küchen möglich geworden. Die eigenen Länderküchen, die eigenen Heimatküchen vieler Menschen sind nicht nur immer akzeptierter, sondern immer gefragter. Da gucke ich zum Beispiel in die Ukraine, nach Albanien, nach Marokko. Überall entstehen bestimmte Küchen und die Leute werden sich langsam wieder ihrer selbst bewusst und lösen sich vom einst allgegenwärtigen Idol der klassisch-französischen Küche. Die Vielfalt, die dahintersteht, finde ich besonders. Und nur weil etwas Neues dazukommt, wird das Alte nicht schlecht, es wird schlichtweg vielfältiger. Das ist in meinen Augen ein ganz toller Umstand, und da wird auch noch eine Menge passieren. Es werden sich immer mehr Länder kulinarisch emanzipieren. Wertiges Essen ist nicht länger gleichbedeutend mit dem französischen Küchenstil.