„Ich war kurz davor, meinen Beruf an den Nagel zu hängen“

Die besten Erzeuger Deutschlands: Boulangerie Merlê

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TEXT Nick Pulina | FOTOS Boulangerie Merlê

Es gibt Orte, die lassen sich auch ohne Navigationssystem finden, manche sogar mit verschlossenen Augen. Parfümerien zum Beispiel, Tierhandlungen oder Teeläden. Einer der schönsten olfaktorischen Wegweiser ist und bleibt allerdings die wohlige Duftwolke einer guten Bäckerei. So ist es auch bei der Boulangerie Merlê in Köln-Lindenthal. In der kleinen Backstube mit vorgelagertem Verkaufsraum steht Jacques Merlet, befüllt Quiches, touriert Blätterteig, formt Baguettes; und das riecht man beinahe bis zur nahegelegenen Uni. Doch nicht nur wegen des Dufts, sondern vor allem wegen des Geschmacks dieser französischen Klassiker in Kombination mit einem hohen Bewusstsein für Qualität und Handwerk gehört die Boulangerie Merlê für uns zu den besten Erzeugern Deutschlands.

Wer vom Aachener Weiher kommt, der biege rechts auf die Dürener Straße ein und laufe immer geradeaus, bis ihm auf der linken Straßenseite ein paar Bistro-Tische ins Blickfeld kommen, die – natürlich à la parisienne zur Straße ausgerichtet – stets von glücklich aussehenden Menschen besetzt sind, welche genüsslich in ein Croissant beißen oder an einer Tasse nippen. Manchmal sitzt hier auch Jacques Merlet, genießt seinen Kaffee und begrüßt die Kunden. Zwischen einem „Bonjour“ und dem nächsten vergehen selten mehr als zwei Minuten, viele Stammkunden kennt er mit Namen und wird von ihnen nicht selten in einen kleinen Plausch verwickelt. Die Kölner wissen, was sie an ihrer Boulangerie haben, das ist deutlich zu spüren.

Dabei war Köln für Jacques Merlet niemals ein Sehnsuchtsort, nicht einmal wirklich ein Begriff. Als die Lyoner Handelskammer vor rund 35 Jahren einen einjährigen Austausch mit der Handelskammer Köln anbot, nutzte er diese Gelegenheit – und blieb fortan in der Rheinmetropole. Seit 2011 führt er nun seine eigene Bäckerei im Westen der Kölner Innenstadt, nachdem er zuvor in vielen unterschiedlichen Betrieben tätig war. Glücklich gemacht hatte ihn das nicht: „Ich war damals kurz davor, meinen Beruf an den Nagel zu hängen. Es war für mich einfach nicht mehr zu ertragen, wie mit dem Handwerk und den Produkten umgegangen wurde. Allein schon der chemische Geruch, der einem aus einem Mehlsack entgegenkam… Es hat einfach alles keinen Spaß mehr gemacht.“

Der einzige Ausweg: die Eröffnung einer eigenen Bäckerei, in der Merlet wieder arbeiten konnte, wie er es einst in dem kleinen bretonischen Ort St. Michel gelernt hatte. Gemeinsam mit seiner Geschäftspartnerin Kim Phuc Lê, so erklärt sich auch die Namensgebung der Boulangerie „Mer-Lê“, begann vor nunmehr 12 Jahren die Produktion einiger der wahrscheinlich besten französischen Gebäcke Deutschlands. Das Sortiment ist beständig, immer gibt es Klassiker wie die himmlisch butterblättrigen Croissants, außen resche, innen herrlich feucht-lockere Baguette und auch die eine oder andere warme Leckerei wie Croque Monsieur oder Quiche. Doch nicht nur Herr Merlet, ein Großteil seiner Belegschaft und die Rezepte für die Backwaren kommen aus Frankreich, die meisten Zutaten tun es auch: „Leider beziehe ich den Großteil meiner Produkte aus Frankreich. Ach, was heißt leider. Es war einfach nicht möglich, in Deutschland zum Beispiel eine gute Tourierbutter zu bekommen. Die bekomme ich aus der Normandie geliefert, schon in der passenden Plattenform. Mein Mehl kommt aus der Champagne. Das hat sich einfach so ergeben. Wichtig ist mir vor allem eine beständige Qualität. Ich möchte nicht jede Woche mit meinen Lieferanten telefonieren müssen, weil irgendwas nicht meinen Standards entspricht. Über die Jahre habe ich mir da zum Glück ein gutes Netzwerk aufgebaut.“

Wer 35 Jahre lang an einem Ort fern der Heimat lebt, ist allerdings auch nicht gefeit gegen kulinarische Einflüsse des neuen Wohnorts. Was ein Glück, denken auch viele Kunden der Boulangerie. Denn das Sauerteig- und das Fünfkornbrot von Jacques Merlet sind zwei gern gesehene Ergänzungen des Sortiments. Das sieht auch der Bäckermeister selbst so: „Ich habe zwar einige Jahre gebraucht, um auf den Geschmack zu kommen, aber mittlerweile liebe ich auch ein gutes deutsches Vollkornbrot mit einer dicken Scheibe Hartkäse darauf. Und bevor ich es vergesse: Gute Brezeln liebe ich auch!“ Was für ein Glück, dass kürzlich einer von Merlets Mitarbeitern ein Rezept für Ebensolche von seiner vorigen Arbeitsstelle in Süddeutschland mitgebracht hat. Nun steht also seit einigen Wochen auch ein Ständer mit saftigen Brezeln auf dem Glastresen in der Bäckerei. Selten war Völkerverständigung so fluffig und lecker.

Überhaupt ist Merlet, das merkt man ihm an, wenn er mit leuchtenden Augen und seligem Lächeln darüber spricht, sehr zufrieden mit seinen Mitarbeiter:innen. Neben dem eigenen Sohn, der im väterlichen Betrieb seine Ausbildung zum Bäcker abgeschlossen hat, und einigen Festangestellten nimmt Merlet auch immer wieder junge Bäcker:innen bei sich auf, die sich auf der Wanderschaft befinden. „Ich bin wirklich froh, ein so stabiles und gut funktionierendes Team zu haben. Die Menschen passen einfach zusammen, das ist für mich mit am wichtigsten. Gerade in diesen Zeiten, in denen Fachkräfte immer seltener werden.“

Und diese braucht der Bäckermeister auch. Wie sonst sollte er den üblichen Wochenendansturm bewältigen können? „Im Schnitt verkaufen wir am Wochenende allein zirka 350 bis 400 Croissants. Und das hat sich zum Glück auch noch nicht geändert. Die Menschen, die Genuss gewöhnt sind, versuchen auch, diesen beizubehalten, auch wenn die Zeiten einmal schlechter sind. Unsere Kundschaft war, trotz des Standorts in einem eher wohlhabenderen Viertel, schon immer sehr gemischt und ist es zum Glück auch weiterhin. Ich finde es schön, für alle da zu sein.“

boulangerie-merle.de