Bühne frei für eine Diva

Auch wenn über Trüffel schon alles gesagt und geschrieben wurde: Man kann der edlen Knolle aus dem Inneren der Erde einfach nicht oft genug huldigen. Eine Hommage.

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TEXT Tina Hüttl | FOTOS Klaus Fritsch

Wenn im Januar erste warme Sonnenstrahlen den Boden in den provenzalischen Alpendörfern erwärmen, schwärmen auch schon die Trüffelsucher aus, stets begleitet von ihren Hunden. Und die besitzen die wunderbare Gabe, Trüffel bis zu 30 Zentimeter tief im Boden zu wittern. Markiert der Hund nun eine Stelle, übernimmt der Trüffelsucher und legt mit einer speziellen Schaufel die Knolle behutsam frei, manchmal nur haselnuss-, manchmal gar kartoffelgroß. Aber immer wohlig-süß duftend.

Manche Gourmets und Trüffelliebhaber beschreiben das Aroma schlicht als göttlich, andere als betörend und erdig-animalisch. Der Geruch von Trüffel spricht jedenfalls einen vegetativen Bereich in uns an, vermutlich ist das auch der Grund, warum Trüffel früher nicht nur in der Küche, sondern als Heil- und Potenzmittel verwendet wurden. So weit, aphrodisierend zu sein, geht ihre Wirkung zwar nachweislich nicht, doch Trüffelessen, soviel ist sicher, kann sehr auf- und wohl auch sehr anregend sein. Vorausgesetzt, man kann sich den Genuss leisten: Die Trüffelpreise wechseln je nach Menge und Qualität, die Nachfrage übersteigt dabei regelmäßig die Ernte.

Trüffel ist Delikatesse und Statussymbol, Mysterium und Diva. Seit dem Altertum steht er für eine wechselhafte Biografie. Mal als Mineral, mal als Pflanze gedeutet, hat er nun seinen festen Platz in der Gattung der Schlauchpilze. Eigentlich ist die Knolle jedoch ein Fruchtkörper, der dort entsteht, wo das weitverzweigte, unterirdische Fadennetz des eigentlichen Pilzes auf ein anderes trifft. 

Plinius der Ältere erwähnt den „tuber“, lateinisch für Schwellung, als einer der Ersten. Er vergleicht ihn mit einem Krebsgeschwür, das bei Verzehr schlechtes Blut und schleimige Ausscheidungen produziert. Im 12. Jahrhundert setzt sich die Bezeichnung „terrae tuffolae“ durch, was soviel wie „die Oberfläche anheben“, bedeutet. Die Knolle wächst etwa fünf bis 30 Zentimeter unter der Erde. Der Begriff verschmilzt schließlich zu tartufo, truffe und Trüffel, wie man ihn auf Italienisch, Französisch und Deutsch nennt. 

Sinnesfeindliche Kirchenvertreter sahen lange nach Plinius noch im Mittelalter eine Ausgeburt des Teufels im Trüffel. Erst in der Renaissance vernarrten sich europäische Königshäuser wieder in ihn, bis die Nationalsozialisten, denen jegliche französische Extravaganz suspekt war, ihn unter Genussverbot stellten.

Vom Trüffel gibt es etwa 200 verschiedene Arten. Nur sieben sind davon kommerziell verwertbar, und lediglich zwei sind wirklich kulinarisch interessant: der Tuber magnatum, auch weißer Alba-Trüffel genannt, der vor allem im Piemont und in Kroatien zu finden ist und bis heute nicht kultiviert werden kann. Und der Tuber melanosporum, der Périgord-Trüffel oder schwarzer Trüffel, der vor allem im Süden Frankreichs in symbiotischer Verbindung mit Bäumen wie der Steineiche gedeiht. Um ihn zu kultivieren, benetzt man die Baumwurzeln mit Sporen und hofft. Der Trüffel mag es nämlich nicht, wenn ihm Wetter, Kalk- und Humusgehalt des Bodens nicht genau passen. Er mag es kalkhaltig und basisch, was die Sache aber noch komplizierter macht: Sein Pilzgeflecht braucht auch den optimalen Austausch an Kohlenhydraten, Stickstoff und anderen Elementen mit den Baumwurzeln.

Ferner sind dem Trüffel harte Winterfröste und trockene Sommer ein Graus. Entscheidend ist der August. Der soll warm, aber voller kurzer Sommergewitter sein. Interessanterweise hat man festgestellt, dass ein gutes Trüffeljahr, gemessen an der Erntemenge, mit einer schlechten Weinernte einhergeht. Denn im Gegensatz zum Trüffel mögen die Reben es nur mäßig feucht bis trocken, besonders im August bis Oktober.

Besonders vom weißen Trüffel gibt es nie genug, um den weltweiten Appetit von Macau über Dubai bis nach Chicago zu stillen. Und das treibt den Preis in die Höhe. Durchschnittlich kostet ein Kilo derzeit rund 3.500 Euro, auf Versteigerungen werden bisweilen astronomische Summen von 14. 000 Euro je Kilo erzielt. Im italienischen Alba geht es ein wenig zu wie beim Drogenhandel, die schönsten Stücke bleiben zunächst in den Taschen und wechseln nur verstohlen die Besitzer. Wer sich auskennt, kommt an den besten Stoff. Doch der örtliche Trüffel­markt ist längst ein Touristenspektakel, Einheimische kaufen lieber auf anderen Märkten der Region.

Dass der Alba-Trüffel kulinarisch die größere Karriere hingelegt hat, liegt nicht zuletzt am dominanten Vertriebskanal durch unzählige italienische Restaurants. Und dass es Jahr für Jahr weniger gibt, das wiederum liegt an der globalen Erwärmung und an in den Boden auslaufenden Fungiziden. Glücklicherweise reicht für ein Gericht schon wenig davon. Er muss sogar sehr dünn geschnitten – am besten gehobelt – werden, um sein betörendes Aroma bestmöglich zu entfalten. 

Obwohl unzählige Rezepte mit dem Magnatum existieren, der weiße Trüffel funktioniert nur als „letzter Schliff“. Ob ganz simpel übers Spiegelei mit Blattspinat gehobelt, zu Pasta wie Tagliolini oder ganz oben auf dem „Ceci alla Piemontese“, dem typischen Wirsingeintopf mit Kirchererbsen. Hitze mag er nicht, und wie alle Trüffel ist er sehr empfindlich, was Lagerung und Haltbarkeit beeinflusst. Da ein Trüffel zu 73 Prozent aus Wasser besteht, schrumpft er täglich um fünf Prozent seines Gewichts. Aus diesem Grund muss er nach der Ernte in ein Tuch gewickelt und luftdicht verpackt werden. Gekühlt hält er maximal eine Woche, danach ist das Aroma entwichen. 

Geschmacklich hat jedoch der schwarze Trüffel, der „Melano“, wie er in Trüffelregionen abgekürzt wird, eine viel größere Bandbreite. Wer ihn je – wie in provenzalischen Alpendörfern üblich – direkt aus dem Boden, kurz abgewischt und in Scheiben roh auf einem Baguette mit etwas Salzbutter gegessen hat, ahnt, dass dies einer der ultimativsten Genüsse im Leben ist. Dunkel-erdig schmilzt er auf der Zunge. Der schwarze Trüffel braucht keine komplizierten Rezepte, sein Geschmack scheint den Menschen mit der Natur zu verschmelzen. 

Vorsicht daher auch beim Kauf: Genau wie ein Trüffelhund auf die an einen Eber erinnernde Ausdünstung des Trüffels mit Schwanzwedeln reagiert, genauso riechen es die Trüffelverkäufer auf den besten Trüffelmärkten im französischen Lalbenque, wenn sie einen Laien vor sich haben, den man ums Ohr hauen kann.

Wer als Hobbykoch das echte Erlebnis sucht, der wird zur Saison des schwarzen Trüffels am ehesten in der Gegend um Avignon fündig. Auf bäuerlichen Wochenmärkten etwa in Richerenches oder Carpentras tummeln sich wenig Touristen, dafür echte Typen unter den Verkäufern, die ihre Funde manchmal direkt aus dem Kofferraum heraus verkaufen. Hier greifen auch die Zwischenhändler die wirklich guten Exemplare ab, die sofort an die erlesensten Feinkosthandlungen und Restaurants gehen. Zum Beispiel ans „Auberge de l’Ill“ im Elsaß, wo Marc Haeberlins Signature Dish Périgord-Trüffel in Asche gegart oder in Kartoffelkruste für Trüffelliebhaber Kultstatus erreicht hat. 

Wo der weiße Trüffel nämlich als Katalysator für den Geschmack dringend Eigelb braucht, was meist durch die Pasta geliefert wird, kann man den schwarzen Melanosporum mit seinen feinen hellen Äderchen auch im Ganzen oder geschnitten, auf rohem Fleisch, zu Meeresgetier wie Jakobsmuscheln, eingebacken in Pasteten, unter die Haut des Perlhuhns geschoben, mit Artischocken geschmort, gedünstet in Madeira oder zum Jus eingekocht genießen. Als einziger unter den Trüffeln lohnt es, ihn auch jenseits seiner Saison in den Wintermonaten zu genießen, weil ihm der Kochprozess nicht schadet. Er kann als Trüffelfond im Glas haltbar gemacht werden.

Entgegen dem, was die Industrie behauptet und uns als Trüffelprodukte verkaufen will, ist das allermeiste Chemie und – wie Trüffelkenner zu Recht schimpfen – eine Pest. Einen Trüffel kann man nicht ausquetschen, es kommt schlicht kein Öl raus. Ebenso wenig kann man ihn einlegen, denn Trüffel ist eine Naturalie, die sich zersetzt und im Öl faulig wird. Wer sich also von Trüffel-Salzen, Trüffel-Ölen, Trüffel-Chips, -Honig, -Tees, -Cremes, -Essig oder gar -Gin anlocken lässt, kauft alles Mögliche, aber keinen Trüffel. Meist wird das Aroma aus einer Verbindung von Kohlendioxid und schwefeliger Säure hergestellt. Experten fordern, ähnlich wie beim Wein, öffentlich bestellte und vereidigte Gutachter, die Echtheitsprüfungen vornehmen. 

Der weitverbreitete deutsche Glaube, dass echter kulinarischer Luxus auch für sehr kleines Geld zu haben ist, stößt spätestens beim Trüffel an seine Grenzen. Denn selbst in konservierter Form hat der Périgord-Trüffel seinen Preis, für einen Liter Trüffelfond muss man mindestes ein Kilo Trüffel einkochen, und das kostet gern zwischen 1.000 und 2.000 Euro. 

Und noch etwas stößt beim Trüffel an seine Grenze: der Fortschrittsglaube. Der Mensch kann inzwischen Tiere klonen, sein eigenes Genom sequenzieren, doch das wahre Aroma und der Geschmack des Trüffels können nicht gefälscht oder formuliert werden. Selbst im direkten Sinne ist ein Trüffel nicht zu züchten. Wir können nur versuchen, ihm die perfekte Umgebung zu bieten. In einer Welt, in der eigentlich alles jederzeit verfügbar ist, bleibt der Trüffel eines der letzten Mysterien. Irgendwie auch ein schöner Gedanke.