„Naturwein“ – die andere Weinkategorie

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TEXT Eva Adler

Gault&Millau hat in diesem Jahr zum ersten Mal eine Verkostung speziell für „Naturweine“ durchgeführt und die Ergebnisse im aktuellen HENRIS Magazin 03I24 präsentiert.

Diese Weine sind durchaus spannend und bei den Käufern von Berlin bis München en vouge – aber sie erfordern Erklärung und Kontext. Etwas, woran man sich herantasten und heranschmecken muss – das ist substantiell, denn die Weine und die Kategorie erschließen sich nicht von selbst. Fangen wir beim Begriff an: Die Bezeichnung Naturwein kann auf den ersten Blick irreführend erscheinen – schließlich entsteht Wein nicht von selbst. Wie bei allen Weinen steckt auch hinter Naturwein ein handwerklicher Prozess mit viel Präzision. Wir klären auf.

Naturwein, was ist das eigentlich?

Die Kategorie Naturwein ist nicht einheitlich definiert. Meist versteht man darunter Weine, die mit nur minimalen Eingriffen im Keller erzeugt werden – auch genannt Low Intervention Wines. Die Trauben für diese Weine stammen oft aus biologischem Anbau, werden spontan vergoren und ohne die Zuhilfenahme von Reinzuchthefen oder Enzymen ausgebaut. Wenn die Weißweine mit Maischekontakt vergoren werden (sehr einfach gesagt also nach „Rotweinmethode“ hergestellt werden), dann können sie deutlich dunkler aussehen als man es gewohnt ist. Die Farbe changiert dann häufig bis in ein kräftiges Orange, woher auch der internationale Name für diese Weine kommt: Orange Wines. Naturweine werden in der Regel kaum oder gar nicht geschwefelt und gelangen überwiegend ungefiltert in die Flasche. Daher kann sich am Boden der Flasche ein kleiner Hefesatz absetzen. Besonders häufig findet man diesen Hefesatz bei Pét Nats, einer Abkürzung für Pétillant Naturel. Diese Schaumweine werden nach der Méthode ancestrale hergestellt, einer traditionellen und alten Methode zur Schaumweinerzeugung. Anders als bei der klassischen Champagner-Methode  wird hier der noch gärende Most direkt in eine druckstabile Flasche gefüllt und vergärt dort fertig – das Ergebnis ist ein leicht perlender Schaumwein, der je nach Hefetätigkeit auch noch ein wenig Restzucker enthalten kann. Wenn der Hefesatz in der Flasche sichtbar ist, ist das bei diesen Weinen gewollt – er sollte sogar vor dem Öffnen des Weins leicht aufgeschüttelt werden. Dieser Hefesatz hat einen starken Einfluss auf Geschmack und Textur, was zur nächsten Frage führt:

Wie schmeckt denn nun Naturwein?

Kurz gesagt: Naturwein schmeckt anders als klassisch ausgebaute Weine. Wie anders er für jeden Einzelnen schmeckt, ist natürlich von individuellen geschmacklichen Vorlieben geprägt – und davon, wie Wein subjektiv wahrgenommen wird. Was man sagen kann: Naturweine sind sehr aromenreich und vielschichtig. Sie können salzige Noten, Gepickeltem, erdige Nuancen, Eindrücke von frischem Hefegebäck und sehr natürliche Frucht-Aromen zeigen. Meist ist nach der „ersten Nase“ nicht Schluss, diese Weine geben ihre changierende Aromatik oft erst dann richtig preis, wenn sie Luft bekommen haben und leicht an Temperatur gewinnen. Der Eindruck am Gaumen kann, gerade bei maischevergorenen Weißweinen, im ersten Moment ungewöhnlich wirken. Denn durch die Maischegärung bekommen diese Weine ein Tanningerüst, das so stark ausgeprägt sein kann, dass sich diese „Orange“-Weine fast wie Rotweine anfühlen. Außerdem sind Naturals in den meisten Fällen – von manchen Pét Nats abgesehen – sehr trocken. Der im Most befindliche Restzucker wird normalerweise komplett vergoren – im Endprodukt ist fast kein Zucker mehr enthalten. Deshalb sind Naturweine in der Regel keine klassischen Dessertweine.

Und was ist das beste Einsatzgebiet für Naturweine?

Der immense Aromenreichtum und die griffige, manchmal auch viskos wirkende Textur machen Naturweine zu einer echten Geheimwaffe, wenn es ums Essen geht. Sie schaffen es, einem Gericht eine weitere Dimension hinzuzufügen. Mit ihrer expressiven Art sind sie eher Speisen-Ergänzer als -Begleiter. Ein zusätzlicher großer Vorteil dieser Weine ist ihre Stabilität. Durch den speziellen minimalistischen Ausbau sind sie in der Lage, viel Luft aufzunehmen: die meisten Naturweine profitieren von großen Gläsern oder einer Karaffe und können auch gut mit etwas höheren Trinktemperaturen umgehen. Und die geöffneten Flaschen können oft eine überraschend lange Zeit im Kühlschrank überstehen, ohne etwas von ihrer Aromatik und Ihrem Charakter einzubüßen.

Und nun bleibt nur noch zu sagen: viel Spaß beim Entdecken der etwas anderen Weinkategorie!

Top 5 Sommelier’s Choice

Weingut Drautz-Able, Württemberg

2018 SO18 Sauvignon Blanc

Extrem nussig mit intensiven Sherry-Noten, Nussmus, Datteln, grünen Rosinen und Hefezopf. Am Gaumen iodige Noten, viel Salz, viel Röststoffe, intensive Hefenoten und karamellige Anklänge. Herausfordernd!

Foodpairing-Empfehlung: Brie mit Feigen-Chutney

30€ I 14% I Weißwein I Natural-Experte

Baron Longo, Südtirol

2015 Orange Chardonnay

Duftet nach Ginster, Rauchmandeln, Melisse, Zitrone und Sauerteigbrot. Herb-cremig am Gaumen mit einer Note von gesalzener Butter und feinen, zart belegenden Tanninen.

Foodpairing-Empfehlung: Brokkoli-Orangensalat mit Pecorino

30€ I 13% I Weißwein I Natural-Erfahrene

Kuhn Weingut, Baden

2022 Ochsenbühl OX Grauburgunder

Duftet nach pochierter Birne, Blutorangen, Nelken und Goji-Beeren. Feine Röstnoten von Maroni und Zedernholz am Gaumen. Trinkfreudig und einsteiger-geeignet.

Foodpairing-Empfehlung: Blumenkohl-Couscous mit Safran und Mandeln

19,50€ I 13% I Weißwein I Natural-Entdecker

Thomas Niedermayr, Südtirol

2019 Solaris

Gehaltvoll, saftig und animierend mit Noten von Laugengebäck, Salzteig und Butterblumen. Am Gaumen hellcremig und dicht mit feiner, zarter Tanninstruktur.

Foodpairing-Empfehlung: Gebackene Zucchiniblüten mit Kräutersauce

k.A. I 13% I Weißwein I Natural-Erfahrene

Weingut lichti & astroh, Pfalz

2020 Rosé brut nature

Erfrischende Kargheit mit Noten von Roggenbrot, Croissant und gerösteten Salznüssen. Am Gaumen englischer Kuchen, feines Salz und zarte Nussigkeit. Wirkt kraftvoll, ohne überladen zu werden.

Foodpairing-Empfehlung: Thunfisch-Carpaccio mit Nori-Algen

20€ I 12% I Sekt I Natural-Erfahrene

DREI NATURWEINKATEGORIEN ALS ORIENTIERUNGSHILFE:

Natural-Entdecker

Natural-Entdecker-Weine bieten einen sanften Einstieg mit zugänglichen Aromen und klaren Strukturen – perfekt, um die Faszination von Naturwein zu entdecken.

Natural-Erfahrene

Bereit für mehr? Die Natural-Erfahrene-Weine bringen etwas mehr Tiefe und Komplexität ins Glas. Ideal für diejenigen, die bereits erste Erfahrungen mit Naturwein gemacht haben und nun auf der Suche nach neuen, spannenden Nuancen sind.

Natural-Experte

Für die echten Kenner: Unsere Natural-Experten-Weine sind unverfälscht, charakterstark und fordern den Gaumen heraus. Diese Weine sind für Liebhaber, die die ganze Bandbreite und Tiefe der Naturweinwelt erkunden wollen.